Vergiftete Milch

Courtney Love, die „Madonna für Besoffene“, jetzt mit erster autorisierter Biographie. Hot or not?  ■ Von Anke Westphal

So viel Zucker! Sugar Babylon. Sugar Baby Doll. Sugar Baby Love. Babes in Toyland. Hole. Vier dieser fünf Titel, Namen bezeichnen Bands, in denen Courtney Love eine, ach was, die Rolle ihres bisherigen Lebens spielte. Beim fünften handelt es sich um einen Bubble-Gum-Popsong aus den siebziger Jahren, der auf das Konto der Rubettes geht.

„Sugar Baby Love“ paßt trotzdem gut in den Zirkel der anderen Sugar Babys. Um 1983 liebte Courtney Love, outfitmäßig noch halb dem Goth-Rock verhaftet, die Bay City Rollers, Soft Cell und Frank Sinatra, haßte hingegen New Order und Birthday Party. Der Name von Loves aktueller Band Hole, so wollte es Courtney „Medea“ Love, sollte ihr Loch in der Seele bezeichnen. Das Haus, in dem Loves Seele wohnt, gehört wohl eher in die Abteilung Friedensreich Hundertwasser als Mies van der Rohe.

Poppy Z. Brite, Autorin des Underground-Romans „Lost Souls“ und Stripperin, behauptet, mit Courtney Love befreundet zu sein, woraus sie das Recht ableitete, eine erste autorisierte Biographie von Love zu schreiben. Über Courtney Love läßt sich eigentlich nichts mehr sagen, denkt man. Die Medien haben Loves Image in alle Richtungen gezerrt. Aber vielleicht ergibt die Quersumme dieser Verzerrungen ja ein klares Bild.

Der Popmensch kennt viele der Geschichten, die Poppy Brite hier aufreiht. Ruhe- und lieblose Kindheit bei egoman flottierenden Hippie-Eltern. Der Vater, ein halbberühmter (Grateful-)Deadhead, füttert die vierjährige Courtney mit LSD. Das kleine Mädchen wird erst im Schuppen neben dem Haus untergebracht, weil es einen schlechten Einfluß auf die Halbgeschwister haben soll, und dann ganz weggegeben – im Affentempo bei Bekannten und Verwandten herumgereicht. Besserungsanstalten, Pillen, Heroin, die starke pubertäre Identifikation mit Nancy Spungen (die von Sid Vicious erstochen wurde, bevor dieser selbst abging) und am vorläufigen Ende ein Knäuel aus Schlampen- und Zickenstories, die – teils einwandfrei wahr, teils aufgeplustert – über Love im Umlauf sind. Brite rückt da einiges zurecht, aber nur der Street credibility wegen interessiert einen jemand wie Love kaum noch. Es gibt so viel Street credibility wie Splitter von Jesu Kreuz in katholischen Kirchen. Heutzutage genügt es nicht, verrückt zu sein – man soll auch wieder anders können. Courtney Love kann auch anders.

Wenn man nicht immer selbst dabei war, muß man sich eben etwas vorstellen. Loves Urerfahrung liegt Brite zufolge im Unerwünschtsein und Herumgereichtwerden. Love – den (zum Signet erhobenen zweiten Vor-)Namen muß Courtney als blanken Hohn empfunden haben. Brites Courtney-Love-Biographie ist kein intellektuelles Buch, aber ein spannendes. Die Autorin spart nicht an hanebüchenen Metaphern (Cobains Blick aus „schmerzlich blauen Charly-Manson-Augen“) und schämt sich weder für gelegentliches Stil-Low-Fi noch Altklugheit. Doch Brite hat das lineare Erzählen gewählt wie ein Brennglas, um ihrem ziemlich verwinkelten Gegenstand gerecht zu werden – das ist viel, sogar alles. Als Tragik dieses Leben erscheint plötzlich, daß Courtney Love in Musik wie in Echtzeit mit einiger Melodramatik auf Rollen (Mutter, Frau) und Symbole (Barbie, Mißwahlen) einschlug, deren traditionelle Besetzungen a) konventionell zu lernen, b) auszukosten und dann c) zu hassen sie nie so richtig Gelegenheit hatte. Ihr Außenseitertum schrie – im Wortsinn – zum Himmel. Love nannte diese Prägung in ihren Songs „vergiftete Milch“.

In diesem Kontext betrieb sie ihre Musik bisher als „Exorzismus“ und ihr Leben als Rachefeldzug eines schwierigen (als Säugling angeblich sogar autistischen) und vernachlässigten „fetten Mädchens“ – eine Theorie, in die man sich durchaus einfühlen kann. Aber eben eine Theorie. Im nachhinein scheint es mit dem (kontra-)sozialen Ehrgeiz von Courtney Love aber auch ein bißchen so, als habe die ewige Bitch den anderen all das symbolisch zertrümmern wollen, was sie selbst nie hatte.

Kontexte ändern sich, auch dramatisch. Da war diese Ehe; Kurt Cobain soll bei der Vermählung einen Schlafanzug getragen haben. Sein kopfloser Geist sorgt im Hintergrund für das Gedeihen der üblichen Verschwörungstheorien. Man kennt das. Courtney Love habe Auftragskiller angeheuert, weil Kurt sich von ihr habe scheiden lassen wollen – Konjunktive über Konjunktive. Ich bin der Ansicht, daß Kurt Cobain ein Verhältnis mit dem ebenfalls toten Gianni Versace hatte, weswegen die eifersüchtige Courtney Love beide erschießen ließ...

Schlechte Witze mindern nicht das Drama: Courtney war im Grunge-Zirkus eine nicht gerade erwünschte Überlebende, und eine/r muß ja schuld sein. Ich zumindest wäre nicht gern der aktuelle Mann an Courtney Loves Seite (im Moment der Schauspieler Edward Norton). Eigentlich tut die Frau einem leid. Oder doch nicht?

Die „Madonna für Besoffene“ hat in den vergangenen vier Jahren viele ihrer nicht allzu zahlreichen Anhänger verloren, aber in einem seltsam osmotischen Austausch andere – und gesellschaftlich einflußreichere – gefunden. Die amerikanische Vogue umarmte die Dekonstrukteurin weiblicher Perfektion schnell und überaus herzlich, was damit zu tun haben mag, daß man in New York – anders als in München – einem Tanten-Image energisch vorbeugt. Courtney Love, Madonna, vergangenen Januar die Spice Girls (die gerade auseinanderfallen) – und alle gemeinsam bei U.S. Vogue, der „gesellschaftlichen Elite“, zu Haus. In den US-Magazinen bezeichnet man diese Gattung Mediendarling, deren Prominenz sich aus einer schon leicht abgehangenen Vergangenheit (die man Rock'n'Roll, Geld, Herkunft, Adel oder auch nur Skandal nennen kann) oder sogar aus dem Nichts zu speisen scheint, „socialites“. Natürlich hat es Gründe und Folgen, daß man Courtney Love Arm in Arm mit Donatella Versace sah und sieht.

Die „socialite“- Zeitrechnung begann für Courtney mit einem Make-over, das die Vergangenheit via Griff in den Schritt nicht ganz negierte, die Gesellschaftsfähigkeit der Protoschlampe aber denkbar erscheinen ließ. Loves wohl nicht nur äußerliche Adaption an die gehobene Gesellschaft bedeutete indes vieles: unter anderem die Demonstration ihres guten Willens gegenüber den Jugendämtern, die der (Ex?-)Fixerin mehr als einmal das Sorgerecht für die Tochter zu entziehen drohten, die Verteidigung eines Eliteplatzes am anderen Orte, mithin das erfolgreiche Umsetzen sozialer Aufstiegsphantasien und – Distanz, auch zu Kurt Cobains Erbe. Courtney Love gilt als eine der schwierigsten Frauen im Showgeschäft. Schwierigsein ist immerhin vielversprechend. Daß die Hole-Gründerin derzeit auch eine neue Platte fertig im Regal zu liegen hat, scheint keinen mehr so richtig zu interessieren. Ist das schlimm?

Das Interessanteste – und manchmal auch Sympathischste – am rebellierenden Pop ist vielleicht sein schwieriges Verhältnis zu den gesellschaftlichen Konventionen, zum Spießertum, wie immer es sich auch äußert oder auch nicht zu äußern scheint. Julie Burchill jedenfalls, einst Meinungsmacherin beim New Musical Express in dessen besten Tagen und nun eine Art Pop-Ehrenpräsidentin, ist vor drei Jahren von London nach Brighton gezogen, weil ihren zwei Kindern, dem Ehemann und ihr selbst die Landluft gut bekommen soll. Burchill spekulierte kürzlich in der U.S. Vogue, daß die Dichterin Sylvia Plath heute noch leben würde, hätte Plath 1963 nur jemanden gehabt, der sie fort vom urbanen Gasherd und hin aufs gesunde Land verfrachtet hätte. Über Cobain und Courtney Love würde Burchill dasselbe schreiben, und es wäre nicht einmal traurig. Die Geschichte des Rock'n'Roll hat in seinen Desintegrationsphasen unzählige mehr oder weniger lustige sozialgeschichtliche Waisen produziert. Manche suchen sich, ob zeitweilig oder für immer, eine weniger zugige Ecke.

Jetzt unternimmt Courtney Love wohl, was Tad Friend (in einer Rezension von Scott Spencers Pop-Chiffrenroman „The Richs Man's Table“) über Sarah Dylan – auch eine Exhälfte einer Ikone – schreibt: „Tries to live down her tango with history.“ Die Exzesse werden sicher nicht die alten bleiben, aber sie werden bleiben. Poppy Brite zumindest erzählt einmal, daß Courtney Love „den Mythos der gequälten Frau (liebte), weil sie glaubte, sich selbst von diesem Schicksal erlösen zu können“. Auch eine Rebellion.

Poppy Z. Brite: „Courtney Love“. Aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff und Regina Winter, dtv; 26 Mark