Ein Wecker als zweifelhafter Beweis

Heute wird in Stuttgart das Urteil gegen Corinna Kawaters gefällt. Der früheren taz-Mitarbeiterin wird vorgeworfen, Mitglied der Gruppe „Rote Zora“ gewesen zu sein, die Mitte der 80er Jahre Anschläge verübte  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Es blieb beim Versuch: „In Solidarität mit den kämpfenden Frauen bei Adler haben wir in der Nacht zum 21.6.87 in der Hauptverwaltung des Adler-Konzern in Haibach bei Aschaffenburg eine Bombe gelegt, mit der Absicht, einen Teil ihres Verwaltungsapparates zu zerstören.“ Der Sprengsatz wurde aber sichergestellt, er richtete keinen Schaden an. „Wir“, das war die Rote Zora, eine Ende der 70er Jahre aus den Revolutionären Zellen (RZ) hervorgegangene militante Frauenorganisation.

Acht Wochen später zündeten dann am 15. August Mitglieder der Roten Zora zeitgleich Brandsätze in neun verschiedenen Filialen der Billigkleider-Kette Adler. Der Schaden war enorm: 27 Millionen Mark. Die Revolutionären Zellen und die Rote Zora sollen allein 1987 nach Angaben der Ermittlungsbehörden 22 Anschläge auf staatliche Institutionen und Unternehmen verübt haben.

In einem anonym geführten Interview erklärten die militanten Frauen: „Radikaler Frauenkampf und Gesetzestreue – das geht nicht zusammen!“

Heute, fast elf Jahre später, soll nun die heute 45jährige Kölnerin Corinna Kawaters wegen Mitgliedschaft in der Roten Zora nach dem Willen der Bundesanwaltschaft verurteilt werden. Auf zwei Jahre Haft mit Bewährung hat die Anklage vor dem 5. Strafsenat beim Stuttgarter Landesgericht plädiert, die Verteidigung von Corinna Kawaters fordert dagegen Freispruch.

Die Bundesanwaltschaft sieht es in dem seit dem 24. März 1998 laufenden Prozeß als erwiesen an, daß die Angeklagte an mehreren konspirativen Treffen der Roten Zora teilgenommen hat. Vor allem wird der ehemaligen taz-Mitarbeiterin Kawaters aber der Besitz eines Weckers angelastet, der 1987 in ihrer Wohnung gefunden wurde und der als „typischer“ Zündmechanismus für einen Sprengstoffanschlag vorgesehen gewesen sein soll.

Rechtsanwalt Heinz Schmitt aus Duisburg hält dagegen, es gebe keine gesicherten Erkenntnisse für eine Mitgliedschaft seiner Mandantin. Weder sei bekannt, was bei den Treffen der Gruppe besprochen wurde, noch sei der Besitz eines Weckers Beweis für eine Mitgliedschaft. Wegen der Anschläge kam es Ende 1987 in Nordrhein- Westfalen zu einer Reihe von Hausdurchsuchungen. Zwei mutmaßliche Mitglieder der Roten Zora wurden damals festgenommen, Corinna Kawaters und drei weitere Personen entzogen sich einer Verhaftung durch die Flucht ins Ausland.

Acht Jahre später, am 25. Oktober 1995, stellte sich Kawaters überraschend in Karlsruhe der Bundesanwaltschaft. Zuvor hatte sie Kontakt zum sogenannten Aussteiger-Programm des Kölner Verfassungsschutzes aufgenommen. Corinna Kawaters und ihr Lebensgefährte erklärten zu ihrer Rückkehr: „Wir haben niemand verraten oder belastet, uns nicht distanziert, keine Erklärungen oder Hinweise auf Zusammenhänge oder ähnliches gegeben. Insoweit wäre die Entscheidung zur Rückkehr eine rein private Angelegenheit gewesen, wenn sie nicht die politische Moral der Linken berühren würde.“ Daß Verhandlungen mit dem Kölner Verfassungsschutz jetzt für den vergleichsweise niedrigen Strafantrag der Bundesanwaltschaft verantwortlich sind, weisen die Angeklagte und ihr Rechtsanwalt zurück. Der Verfassungsschützer mit den Decknamen „Benz“ habe lediglich die nötigen Pässe für eine Rückkehr in die Bundesrepublik besorgt und sichergestellt, daß die Angeklagte von einer Untersuchungshaft verschont wird.

Andere Absprachen, beteuert die Kölner Journalistin, habe es nicht gegeben. Vor Gericht hat die Angeklagte die Aussage verweigert.

Das Urteil, das heute in Stuttgart gesprochen wird, hat Signalcharakter. Mindestens zwei weitere untergetauchte Ex-Militante sollen den Prozeß als Pilotverfahren verfolgen – und davon ihre Entscheidung über eine Rückkehr abhängig machen.