Kickende Knubbel

Die Informatiker der Humboldt-Universität sind amtierende Weltmeister im Computerfußball. Nächste Woche verteidigen sie ihren Titel beim Robocup 98 in Paris  ■ Von Katharina Maas

Flanke–Kopfball–Tor: ein sauberer Schuß in die rechte Ecke. Das 4:0 im WM-Trainingsspiel ist perfekt. Doch der Torwart nimmt den Treffer gelassen. Er hat sich keinen Millimeter bewegt und sich nicht mal bemüht, den Ball zu halten. Ärger bekommt er deswegen nicht.

Unter ihrem Trainer Hans-Dieter Burkhard üben hier die amtierenden Fußballweltmeister. Keine zweibeinigen, sondern ein Computerprogramm – kleine runde Knubbel, die sauber Pässe spielen, dribbeln und Abseitsfallen erkennen können. Vom 2. bis 9. Juli wird sich das „Agent Team“ vom Fachbereich Informatik der Humboldt- Universität beim „2. Robocup“ den besten virtuellen Fußballmannschaften der Welt stellen.

Knapp hundert Mannschaften aus allen Teilen der Welt werden zum „Robocup“ erwartet. Gespielt wird in drei Ligen: mittelgroße Roboter mit maximal 50 Zentimeter Durchmesser, kleine Roboter bis zu 15 Zentimeter und die sogenannte „Simulationsliga“ mit virtuellen Fußballern auf einem Bildschirm.

Die Roboter, deren Aussehen zwischen baggerartig (Japan) und pyramidenförmig (Australien) variiert, kicken völlig eigenständig. Ihre Programmierer dürfen während des Spiels nicht mehr eingreifen. Eingebaute Kameras und Sensoren, die an Rechner angeschlossen sind, sorgen für den nötigen Überblick der Spieler. Noch wirken sie aber etwas unbeholfen. Als Erfolg gilt schon, wenn überhaupt ein Tor getroffen wird.

In der Simulationsliga, in der auch das Berliner Team kickt, ist die Spielleistung schon ausgereifter. Ein Internetserver in Japan stellt das virtuelle Spielfeld, auf dem Computerprogramme verschiedener Länder gegeneinander antreten. Auch hier darf weder über Joystick noch über Tastatur in den Spielverlauf eingegriffen werden. Die Programme beherrschen die wichtigsten Regeln und können sich sogar durch „Zurufe“ verständigen. Einen virtuellen Schiedsrichter gibt es ebenfalls. Er ist in der Lage, eindeutige Spielsituationen wie etwa ein Aus oder ein Tor zu erkennen.

Bei vertrackteren Fällen muß dann aber doch ein menschlicher Unparteiischer zu Hilfe kommen. Hin und wieder kommt es zu Pattsituationen, in denen keine Mannschaft mehr weiß, was sie tun soll, und minutenlang regungslos verharrt. Dann ist der echte Schiedsrichter gefragt, der per Knopfdruck die orientierungslosen Spieler befreit.

Das menschliche Team hinter dem Simulationsprogramm hat letztes Jahr als Newcomer das Turnier völlig überraschend gewonnen. „Japan, die USA und Australien arbeiten seit Jahren auf diesem Gebiet und haben ganz andere finanzielle Mittel als wir“, sagt Burkhard verwundert. Die Berliner Informatiker hatten gerade mal ein paar Monate an dem Programm getüftelt. Mittlerweile haben sie es ein ganzes Stück weiterentwickelt. Die virtuellen Spieler wissen, was sie bei einer Abseitsfalle zu tun haben und daß ein gezielter Paß wirkungsvoller ist, als nur aufs Tor zu ballern.

Eine Spielerei von Computerfreaks ist Roboterfußball übrigens nicht. Es handelt es sich um eine ernsthafte Forschungsrichtung – die hohe Kunst, Computern das Denken beizubringen. Und das ist gar nicht so einfach. „Das Projekt zu verwirklichen wird Forscher weltweit noch 50 bis 100 Jahre beschäftigen“, prognostiziert Burkhard. Den Anfang machten Schachprogramme, doch das ist jetzt ausgereizt – „Deep Blue“ ist ja bekanntermaßen nicht mehr zu schlagen. Beim Fußballspielen werden den Rechnern weit kompliziertere Fähigkeiten abverlangt: Sie müssen sich auf verschiedene Situationen einstellen, blitzschnelle Entscheidungen treffen und fähig sein, als Team zu funktionieren. Sind sie dazu in der Lage, können Programme für die Arbeitswelt entwickelt werden.

Doch jetzt geht es erst mal um die WM. In Paris darf sich der Torwart solche Patzer wie beim Training nicht mehr erlauben.