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Wand und BodenSchmetterlinge auf Kimonos

■ Kunst in Berlin jetzt: Mikael Levin, Anatolij Shuravlev, Nanne Meyer

Mikael Levin ist ein ausgezeichneter Fotograf und ein braver Sohn. Beide Momente spielen in seinem Fotoprojekt „Suche“ eine wesentliche Rolle. Fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgt Mikael Levin den Spuren einer Reise, die zwei Kriegsberichterstatter, sein Vater, der amerikanische Schriftsteller Meyer Levin, und der französische Fotograf Eric Schwab 1944 unternommen hatten, um über das Schicksal der europäischen Juden zu berichten. Das erste Todeslager im Westen, das die Alliierten Anfang April 1945 erreichten, war Ohrdruf, ein Außenlager von Buchenwald. Levin und Schwab betraten es mit den Soldaten zusammen als erste.

Fotografien von Eric Schwab stellt nun Mikael Levin Fotografien gegenüber, die er aufnahm, als er 1995 den europäischen Kontinent bereiste. Levins Fotografien unterscheiden sich wesentlich von denen Schwabs. Nicht nur, weil die Orte der Vernichtung, die Lager Ohrdruf, Buchenwald, Dachau und Theresienstadt, heute stille Orte sind. Oder weil Kriegsschauplätze wie die Ardennen nun als idyllische Natur erscheinen. Levin ist ein Landschaftsfotograf. Das sieht man in seinen Bildern. Buchenwald ist bei ihm ein steiniger Acker mit einem schmalen Streifen Bäume am Horizont. Levin ist kein Reporter. Auch das sieht man den Bildern an, aber in den Texttafeln an der Wand liest man, daß sein Vater ein solcher war.

Und hier geschieht nun etwas Merkwürdiges in der Ausstellung im Haus am Kleistpark: Die Texttafeln, mal in kursiver, mal in normaler Schrift gesetzt, zitieren den Vater, das läßt sich dem Beipackzettel zur Ausstellung entnehmen, aber nirgends wird gesagt, woher die jeweiligen Texte stammen oder was die Unterscheidung zwischen kursiv und normal zu bedeuten hat.

Allgemein wird vermerkt, daß Presseberichte und Meyer Levins Autobiographie „In Search“ die Quellen sind. Doch gerade weil der Vater so schlecht behandelt wird, bemerkt man, wie sehr er die Ausstellung dominiert. Gerade weil ziemlich sentimentale und nicht sonderlich kluge Reflexionen Meyer Levins, aus dem Zusammenhang gerissen, an der Wand auftauchen, bemerkt man, daß Mikael Levins Spurensuche- Projekt nicht die konzeptuelle Arbeit ist, die sie sein will, sondern ein ödipales Drama. Man sieht, Levin ist ein ausgezeichneter Fotograf und ein braver Sohn. Er ehrt seinen Vater, verschafft ihm erneut Öffentlichkeit – und blamiert ihn doch zur gleichen Zeit. Aber nur wer den Katalog zu Rate zieht, erfährt die tragische Hintergrundgeschichte.

Bis 5.7., Di.–So. 12–18, Mi. 12–19 Uhr, Grunewaldstr.6–7

Eine Anti-Ausstellung anderer, gewollter Art: Anatolij Shuravlev in der Galerie Pixel Grain. 90 Arbeiten bilden den Korpus von „Geschichte“ – freilich erkennt man sie zunächst ganz einfach nicht. Denn mit ihrem Format von 6 x 9 mm sind die sepiabraunen Fotoreproduktionen antiker Porträtbüsten noch nicht einmal daumennagelgroß. Wie aufgespießte Eintagsfliegen sitzen die 90 Porträts an der Wand. Die Reihe beginnt mit einem Idol aus dem 3. Jahrhundert v.Chr., dessen Gesichtszüge relativ abstrakt sind, ohne Individualität – wenngleich nicht ohne Schönheit.

Im Fortgang der Reihe und damit der historischen Entwicklung gewinnen die Porträts an individuellen Zügen und Details. Doch ob der Betrachter dies wirklich bemerkt, bleibt fraglich. Und fragwürdig scheint auch die Aufforderung des Künstlers zu sein, die Augen zum Vergrößerungsglas werden zu lassen. Wie macht man das? Der Eindruck ist doch vor allem, die Installation drehe sich um die Frage, ab welcher Bildgröße das Auratische der Kunst definitiv zerstört ist beziehungsweise ab welcher Bildgröße Fotografien Repräsentations- und Ausstellungswert gewinnen.

Bis 6.7., Mo.–Fr. 10–20 Uhr, Alte Schönhauser Straße 9

Barbara Wiens Laden & Verlag hat eine neue Adresse. In der Linienstraße auf Höhe der Tucholskystraße findet er sich nun in einem frisch renovierten Hinterhof. Mit mehr Raum als in der Gleditschstraße erstreckt er sich jetzt über zwei Stockwerke. In der oberen Etage, durch die man den Laden betritt, gibt es reichlich weiße Wand. Derzeit wird sie von Nanne Meyer für ihre Ausstellung „Radio Toyko“ beansprucht. Die einzelnen Arbeiten und Werkgruppen tragen weiter Namen wie „TV Tokyo“, „Staubsauger Kyoto“, „Kimonomöbel“ oder „Kimonomüll“. Die Titel sind keine Verrätselungen, sondern die genaue Benennung dessen, was zu sehen ist.

1997 hatte Nanne Meyer, Professorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Japan besucht. Bei einem Trödler in Kyoto fand sie dort einen Packen brauner Papiere mit ausgestanzten Dekors: Bögen, die einmal für das Bemustern von Kimonos Verwendung gefunden hatten. Für die ebenso großartige wie besessene Zeichnerin erwiesen sie sich als der ideale Vorwand und Untergrund einer weiteren Bearbeitung. „Etwas Vorhandenes kann unsichtbar sein, versteckt von dem, was es zeigt“, steht in einem ihrer Künstlerbücher, die im Basement von Wiens Laden ausgelegt sind. Das Vorhandene, das Meyer nun mit wenigen Umrißlinien eines weißen Farbstifts in den abstrakten Mustern sichtbar macht, sind tatsächlich Möbel, ein Tisch etwa, auf dessen Tischtuch die floralen Stanzmuster wie Schmetterlinge entschweben. „Auf Sofas sitzen, in Mustern denken“, notiert die Künstlerin, und: „Nimmt man die Leerstellen für voll, genügt eine Linie, um einen Schrank zu öffnen oder ein Radio zum Schweigen zu bringen.“ Faszinierenderweise setzt Meyers verwandelnde Zeichenkunst wirklich um, was sie intendiert.

Bis 8.8., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Linienstraße 158 Brigitte Werneburg

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