Elisabeth Ziemer kommt, Eberhard Diepgen nicht

■ Die Organisatoren des Lesbisch-Schwulen Stadtfests erwarten heute und morgen wieder 300.000 Besucher rund um die Motzstraße. Der politische Anspruch soll trotzdem nicht im Gelage untergehen

„Ich gehe gern auf Stadtfeste“, bekannte Eberhard Diepgen den Organisatoren des Lesbisch- Schwulen Stadtfests – aber nur, „wenn es meine Zeit erlaubt.“ Leider bekomme er „jedes Jahr weit über 100 derartige Einladungen“, fügte der Regierende Bürgermeister hinzu, deshalb müsse er „die meisten absagen“.

Doch auch ohne Diepgen erwartet Stadtfest-Sprecher Ralf Strauss rund 300.000 BesucherInnen rund um den Nollendorfplatz. Zum sechstenmal eröffnet das Stadtfest schon eine Woche vor dem Christopher Street Day (CSD) die lesbisch-schwulen Festivitäten. Rund um die Motzstraße reiht sich heute und morgen Stand an Stand. Die Veranstalter haben sich aber entschlossen, das Fest in Zeit und Raum nicht weiter wachsen zu lassen. Das würde nicht nur die ehrenamtlichen Helfer überfordern, sondern das Stadtfest auch zur bloßen „Sauf- und Freßmeile“ verkommen lassen, fürchtet Strauss. Bei der Standvergabe habe daher die lesbisch-schwule Szene Vorrang. Wer nur einen Imbißstand aufmachen will, schaue im Zweifelsfall in die Röhre.

Damit vor lauter Feiern das politische Anliegen nicht aus dem Blick gerät, diskutiert das „Stadtfest-Forum“ heute um 16 Uhr im Rathaus Schöneberg über Menschenrechte, Bürgerrechte und Gleichberechtigung. Schwule und lesbische PolitikerInnen aus Norwegen, Irland, Polen, Großbritannien und Deutschland werden über den Stand der Bewegung in ihren Ländern debattieren.

Für morgen hat Schönebergs bündnisgrüne Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer ihren Rundgang über das Stadtfest angekündigt. Die Schirmherrin des Fests mußte sich von CDU-Innensenator Jörg Schönbohm schon der Inkompetenz bezichtigen lassen, weil sie vor ihrem Amtssitz die Regenbogenflagge hissen ließ. Fraglich also, ob der Tempelhofer Bezirksbürgermeister Dieter Hapel (CDU) die Einladung annimmt, Ziemer im Vorgriff auf die künftige Bezirksfusion bei ihrem Rundgang zu begleiten. Zuvor will die Bürgermeisterin an der „Roten Schleife“ bei der Urania an Aidstote und HIV- Infizierte erinnern und anschließend am Nollendorfplatz der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus gedenken.

Auch auf der Hauptbühne in der Eisenacher Straße geht es an beiden Tagen jeweils von 13 bis 15 Uhr um Politik. Am Sonntag stellen sich Christian Ströbele (Grüne), Jochen Feilcke (CDU), Eckhardt Barthel (SPD) und Carola von Braun (FDP) als Bundestags-Direktkandidaten im Wahlkreis Kreuzberg-Schöneberg der Diskusson. Danach müssen sie die Bühne dieses Jahr zwar nicht für einen Stargast räumen, doch die Veranstalter versprechen „Künstler, die in den nächsten Jahren ihren Durchbruch erleben werden“.

Seit 1993 veranstaltet die „Konzertierte Aktion Lesbisch-Schwule Wirtschaft Berlin“ (KAB) das Stadtfest. Die Idee war entstanden, um der wachsenden Zahl von Gewalttaten gegen Lesben und Schwule im Schöneberger Szene- Kiez zu begegnen. Der Erlös fließt in den „Regenbogenfonds“, der neben dem Schwulen Überfalltelefon auch Aids-Projekte sowie Alten- und Kulturarbeit unterstützt. Ralph Bollmann