Enthaltsamkeit ist eine Willensfrage

■ Der „Große Klosterführer“ aus dem Pattloch Verlag informiert Zeitgeistmüde über Möglichkeiten innerer Einkehr. Klöster als letzte Bastion der Ruhe. Alles ist möglich, außer Sex

Campino von den Toten Hosen war Gast, die Sängerin Hilde Kappes geht ebenfalls regelmäßig hin: Ferien hinter Klostermauern sind derzeit der letzte Kick nach stressigen Arbeitszeiten. Dem Trend zur inneren Einkehr hat jetzt der Pattloch Verlag ein wichtiges Reisebuch an die Seite gegeben: Im „Großen Klosterführer“ präsentieren sich rund 800 Betstätten mit ihrem ganz speziellen Angebot für Gäste. Möglichkeiten zu Exerzitien fallen genauso darunter wie Workshops zu Glaubensfragen. Auch wer ein Kloster einfach mal von innen kennenlernen möchte, hat mit dem Adressen- und Telefonangaben die Chance, seine ganz spezielle Führung zu genießen. Nebenbei gibt das Buch Informationen über die Lebensbedingungen hinter Klostermauern.

Und das kommt nicht von ungefähr: Aufgrund des akuten Nachwuchsmangels haben sich viele Klöster in Deutschland von ihrem autistischen Dasein verabschiedet und betreiben aktive Öffentlichkeitsarbeit. So durften sich die Besucher des Dominikanerklosters in Berlin beim Tag der offenen Tür davon überzeugen, daß im Speisesaal nicht nur eine riesige Bibel die Geschmacksnerven anregen soll, sondern auch Maggiflaschen. Der Mönch als zigaretterauchender Scherzbold ist durchaus erwünscht, schließlich will man sich weltoffen zeigen. Das gilt allerdings nicht für alle Klöster. Manche haben den Eintrag ins Buch verweigert und wollen lieber ungestört ihrer Arbeit nachgehen. Besonders Frauenklöster betreiben ihre meist sozialen Aufgaben im verborgenen. Beim Essenkochen für Obdachlose oder der Betreuung elternloser Kinder würden Gäste ohnehin nur stören.

Das Kloster ist für viele zeitgeistgestreßte Menschen mittlerweile zur Seelenflickstation auf ihrer Karrierekurve geworden. So hat man die Wahl zwischen Ferien im koptisch-orthodoxen Heim, den Franziskanern oder Benediktinerinnen. Die Vielzahl der verschiedenen Orden ist verwirrend. Ein wenig Licht in die Sache bringt das Kapitel über die Geschichte der Orden. Dort werden Grundstrukturen klösterlichen Lebens beschrieben, aber auch die Unterschiede zwischen Bettel- und Betschwestern erklärt.

In vielen Fällen sind Klöster die letzten Bastionen der Ruhe in einer schnellebigen Zeit. Und mancher, der nach ein paar Wochen wieder den angestammten Weg ins Büro geht, beginnt zu zweifeln, ob die Welt hinter dicken Mauern nicht doch besser zu ertragen ist: Doch an Lebensflüchtlingen haben Mönche und Nonnen kein Interesse, sie wollen vor allem starken Nachwuchs, der sowohl gemeinschaftliche Krisen als auch persönliche Glaubensfragen souverän angeht. Schließlich sei die sexuelle Enthaltsamkeit keine Frage des Verdrängens, sondern des Willens, so das Buch.

Allein dieser libidinöse Verzicht dürfte die eheähnliche Gemeinschaft mit Gott für lebensmüde Yuppies auf Dauer unattraktiv machen. Christine Berger

Gerald Drews und Sonja Böhmer (Hrg): „Der große Klosterführer“. Pattloch Verlag, Augsburg 1998, 360 Seiten, 39,90DM