Der Moloch Jerusalem frißt seine Kinder

Städteplaner bereiten die Westerweiterung Jerusalems vor. Der Plan vom Groß-Jerusalem soll die jüdische Dominanz in der Heiligen Stadt festschreiben. Die wohlhabenden Vororte setzen sich zur Wehr  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Für all jene Jerusalemer, die der Stadt wegen der hohen Mieten, dem ständigen Verkehrschaos, dem Lärm, der Hektik und auch dem religiösen Fanatismus den Rücken kehrten und in idyllische grüne Vororte gezogen sind, ist es eine böse Überraschung. Bürgermeister Ehud Olmert holt sie wieder ein. Ein 12-Punkte-Plan, der in dieser Woche die „volle Unterstützung“ von Ministerpräsident Netanjahu gefunden hat, sieht vor, die Stadt nach Südwesten auszudehnen und die dortigen Vororte zu annektieren. 55.000 Wohneinheiten pro Jahr sollen dann in der Grünzone errichtet werden. Ein Tunnel vom Mount Scopus in Ostjerusalem bis zur 15 Kilometer entfernten Siedlung Male Adumim im Westjordanland soll diese Gemeinde in das neue „Groß-Jerusalem“ einbinden. Der palästinensischen Traum von einer Hauptstadt Ostjerusalem könnte so zum bösen Alptraum werden.

Die Palästinenser werden ohnehin noch mehr Land verlieren, wenn die ebenfalls vorgesehene neue Ringstraße um Ostjerusalem gebaut wird. Um die ärmste Großstadt in Israel für das nächste Jahrtausend fit zu machen und neue Arbeitsplätze zu schaffen, will die Regierung zudem ein Technologiezentrum nach Art des „Silicon Valley“ in Jerusalem ansiedeln.

„Ich glaube, diese grundlegende Veränderung der Stadt wird als Wendepunkt in Erinnerung bleiben“, erklärte Netanjahu. Eine zentrale Funktion dieses „Stadtentwicklungsplanes“ liegt laut Netanjahu darin, „die jüdische Präsenz in Jerusalem zu stärken“. Knapp 6.000 Einwohner verliert Jerusalem jährlich. Zudem wächst die arabische Bevölkerung Jerusalems viermal schneller als die jüdische. Während das Verhältnis derzeit etwa 70 zu 30 Prozent beträgt, könnte es schon 2020 bei 55 zu 45 Prozent liegen. Wie dem wachsenden palästinensischen Wohnungsbedarf Rechnung getragen werden soll, teilt der Plan nicht mit.

Die „Gesellschaft zum Schutze der Natur in Israel“ hat heftig gegen die riesigen Bauvorhaben protestiert. Ihr Jerusalemer Vertreter, Abraham Shaked, erklärte: „Es geht letztlich nur um eines, die Kontrolle über die Entwicklung der Region.“ Dies eröffne Immobilienspekulanten die Möglichkeiten zu ungeahnten Profiten. Bereits im Laufe der Diskussion um den Plan seien die Landpreise erheblich gestiegen. Bedroht von dem Bauboom ist auch das bereits 1992 eingemeindete Örtchen Ein Kerem, in dem Johannes der Täufer geboren wurde und Maria auf ihrer Reise von Nazareth nach Bethlehem Halt machte. Die Einwohner der christlichen Pilgerstätte kämpfen um den Erhalt ihrer Idylle. Auch andere Gemeinden und Kleinstädte in der Region haben sich in den vergangenen Monaten mit Demonstrationen, Petitionen und Mahnwachen gegen die Einverleibung zur Wehr gesetzt. Sie fürchten höhere Kommunalsteuern und schlechteren Service. Bürgermeister Olmert ginge es um die Steuern der wohlhabenden Vorstadtbürger, lautet einer ihrer Vorwürfe.

Morgen soll der Plan im Kabinett vorgestellt und abgestimmt werden. In der kommenden Woche muß dann noch die Knesset ihre Zustimmung erteilen. Die Mehrheit gilt als sicher.