Analyse
: Krisenherd Zypern

■ Mit Aufrüstung zum Frieden: Die Türkei verletzt das Völkerrecht

Eskalation auf der Urlaubsinsel: Griechenland schickt vier Kampfjets auf den gerade fertiggestellten Militärstützpunkt Paphos in der Republik Zypern. Zwei Tage später landen sechs türkische Maschinen im türkisch besetzten Norden der Insel. Auf der Suche nach Bauteilen russischer S-300- Flugabwehrraketen stoppt und durchsucht die Türkei ein Schiff in den Dardanellen. Sollten die Raketen auf Zypern stationiert werden, wäre die unumschränkte Lufthoheit Ankaras in der Region dahin. Die Türkei droht mit Krieg. Die latenten griechisch-türkischen Spannungen im östlichen Mittelmeer könnten eskalieren.

Mit Aufrüstung zur Abrüstung, so lautete das Credo der zyperngriechischen Politik. Allein durch die Stationierungsandrohung der S-300-Raketen sollte der vergessene Konflikt bei den Großmächten in Erinnerung gerufen und neue Verhandlungen in Gang gebracht werden. Das ist gleichermaßen gelungen wie gescheitert. Zwar geriet der Zypern-Konflikt tatsächlich wieder auf die Tagesordnung, ja, sogar der bosnienerprobte Richard Hoolbroke höchstpersönlich tourt zwischen Ankara, Athen und Nikosia hin und her. Doch im Ergebnis sind die Fronten festgefahrener denn je. Nordzypern verlangt als Vorbedingung für ernsthafte Gespräche die Anerkennung eigener Souveränität, die das Land nicht besitzt. Der Süden pocht auf die Souveränität über Gesamtzypern in einem zu gründenden Bundesstaat. Hoolbroke hat zwar noch nicht das Handtuch geworfen, doch es fehlt nicht mehr viel bis zum Abbruch der US-Friedensmission.

Man mag den Kauf der russischen S-300 durch die Republik Zypern für politisch falsch, militärisch gefährlich und taktisch unklug halten – doch die eigentliche Eskalation kommt aus Ankara. Schon mit der Durchsuchung eines Schiffs unter fremder Flagge verstößt die Türkei gegen internationale Verträge. Die Drohung mit einem Angriff gegen die Raketen aber hat mit geltendem Völkerrecht nichts gemein. Zypern hat es gewagt, die Türkei mit einem Nadelstich herauszufordern – dort reagiert man so, wie es einer von Militärs geprägten Gesellschaft geziemt. Das war vorhersehbar.

Wie aber kommt man nun aus dem selbst entfachten Dilemma wieder heraus? Die türkischen Drohungen sind ernst zu nehmen. Die ersten Touristen bleiben aus, schon kursieren britische Evakuierungspläne für Hunderttausende Urlauber. Die Raketenbestellung schlicht zu stornieren hieße, sich dem nationalen Erzfeind zu unterwerfen. Das könnte der Regierung in Nikosia den Kopf kosten. Bleibt als elegantester Weg, die S-300 vorerst in Griechenland zwischenzulagern. So hätte jede Seite ihr Gesicht gewahrt. Einer Lösung des Zypern-Konflikts allerdings wäre man damit um kein Jota nähergekommen. Klaus Hillenbrand