Mit der Diss ins Internet

■ Schon im Herbst soll es bundeseinheitliche Standards für die Veröffentlichung von Abschlußarbeiten im Internet geben / Nachwuchs-Wissenschaftler können Geld sparen

Andreas Weichert spart jede Menge Geld – denn für die Veröffentlichung seiner Dissertation muß er nichts zahlen. Das ist mehr als unüblich, denn bislang mußten mindestens 40, mancherorts bis zu 150 Exemplare einer solchen Abschlußarbeit an die Bibliotheken abgegeben werden – der Doktortitel kostet. Und nicht zu knapp. Vierstellige Zahlen für den Druck sind normal, der Durchschnitt liegt bei 1.500 Mark. Doch auch 9.000 Mark sind keine Seltenheit. So konnte der wissenschaftliche Abschluß frischgebackene Docktoren bislang in den Ruin treiben und mindestens einen Urlaub vereiteln.

Dem Nachwuchswissenschaftler Weichert wird das nicht passieren. Gerade erst hat der Physiker der Uni Oldenburg die Note - cum laude - für seine Zeitreihen-Wetteranalyse in statistischer Physik bekommen. Jetzt fehlt noch die Veröffentlichung. Seine Dissertation, eine von jährlich 27.000 in Deutschland, erscheint – im Internet. Mit einer Diskette und mit vier kopierten Exemplaren, das ist jetzt in Oldenburg usus, ist der Veröffentlichungspflicht genüge getan. Zu den früheren Wahlmöglichkeiten: Copy-Shop, selbstbezahlter Buchdruck oder Mikro-Fiche ist mit dem Internet eine weitere Möglichkeit dazugekommen. Weichert ist der erste Nutznießer der technischen Revolution in der immer noch bücherzentrierten Wissenschaftslandschaft. „Eine Veröffentlichung im Internet ist für Wissenschaftler doch enorm komfortabel“, freut sich Weichert, „ein Mausklick, und weltweit kann man sich die Arbeit herunterladen.“

Zu verdanken hat er das dem Oldenburger Physik-Professor Eberhard Hilf. Der Forscher hat bei der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) Gelder für ein Projekt „Online-Dissertation“ beantragt. In Duisburg, Mannheim, Berlin, Frankfurt und anderswo gibt es bereits Ideen für Online-Veröffentlichun-gen, doch was fehlt, sind einheitliche Standards und die Verbreitung der Idee. Im Januar wurden die Gelder genehmigt. Seitdem wird die Online-Zukunft an fünf Standorten wissenschaftlich vorbereitet. „Im Herbst wollen wir so weit sein, das eine zweite Projektphase geplant werden könnte“, so Hilf. DFG-Gelder gibt es vorerst nur bis Ende des Jahres.

Bislang haben sich allein die Physiker und Mathematiker bundeseinheitlich darauf geeinigt, daß die Internet-Veröffentlichung in ihren Fachbereichen möglich sein soll. In den meisten anderen Fachbereichen, vor allem bei den Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen, ist noch keine Rede von der Diss im Netz. Einige Fachbereiche, die ihre Forschungsarbeiten vor der wirtschaftlichen Verwertung lieber gar keiner Öffentlichkeit zeigen würden, melden gar vorsichtigen Widerstand an.

Zwar gibt es bereits eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz, aber noch fehlt das Problem-Bewußtsein der Universitäten und die Innovationsfreude der betroffenen Bibliotheken. Kerstin Zimmermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin, die in Oldenburg das Projekt „Dissertation Online“, betreut, macht sich nichts vor: „Soetwas läßt sich nicht aufoktroyieren.“ Und auch Projektinitiator Hilf bremst Erwartungen an eine allzu schnelle Verbreitung der Internet-Dissertationen: „Das alte Bibliothekssystem hat auch 100 Jahre gebraucht, bis es auf den heutigen perfekten Standard gebracht worden war“.

Ein großes Problem: Wie können Bibliotheken sicherstellen, daß die Dissertationen mindestens 20 Jahre lang im Netz abrufbar sind? Überzeugungsarbeit bei BibliothekarInnen tut not. Und auch die technischen Voraussetzungen müssen noch perfektioniert werden. Doch der „Drive“ für die Neugestaltung, so Hilf, er wird von den Fachbereichen kommen, nicht von den Wissenschaftsbehörden. „Der Standard wird sich von unten entwickeln“, glaubt er. Sein Hauptauftrag: die Anarchie des Netzes anschubsen, und sehen, was passert.

Christoph Dowe