Fünf Endspiele warten

■ Javier Clemente, Trainer des ehemaligen Mitfavoriten Spanien, lassen die Kritiken kalt

St. Etienne (taz) – So kennen wir Verhöre aus Kriminalfilmen. Die Fragesteller im Dunkeln, dem Angeklagten leuchtet eine Lampe direkt ins Gesicht. Gestehe er.

Um einen Krimi handelte es sich zwar nicht, eine ziemlich grelle Lampe aber zielte am Freitag abend in St. Etienne genau auf Javier Clemente. El Senor ist der Trainer der spanischen Fußball- Nationalmannschaft und für einen nicht gerade kleinen Teil der iberischen Medienvertreter, die zur WM in Frankreich angereist sind, durchaus ein Bösewicht.

Nach der 2:3-Pleite gegen Nigeria zum WM-Auftakt hatte Clemente demonstrativ Gelassenheit zur Schau getragen, lächelnd die Partie gegen Paraguay zum „Endspiel“ erklärt und einen Sieg versprochen. Dann folgte ein ödes 0:0 in einer Begegnung, in der beide Teams den spielerischen Offenbarungseid ablegten. Die spanische Presse hatte ein „armseliges Remis“ (El Pais) oder ein „erbärmliches Spiel“ (La Vanguardia) gesehen, Marca eine „Schande“ diagnostiziert und As fragte: „Womit haben wir das verdient?“ Nicht nur diese Zeitung hatte den Schuldigen ausgemacht: „Clemente hat völlig die Orientierung verloren.“

Was nun, Senor Clemente? Lächeln. Wie immer. Wieder einmal erweckte Javier Clemente den Eindruck, als sei ihm gerade dieser hochexplosive Zustand der Beziehungen zwischen seiner Person und den zahlreichen Kritikern ein wahres Lebenselixier. Nur 0:0 gegen einen Gegner, der gerade zweimal halbwegs gefährlich in die Nähe des eigenen Tores gekommen war? „Paraguay spielt wirklich keinen schönen Fußball“, sagte Clemente, „aber er ist effizient.“ Der Ausdruck „Effizienz“ ist zum Zauberwort des modernen Fußballs geworden. Wer effizient ist, verliert nicht, und wer nicht verliert, ist nicht schlecht.

Paraguay also war nicht schlecht. Und Spanien? Fast 90 Minuten im Vorwärtsgang, erspielten sich Clementes gehemmte Kicker gerade mal drei Torchancen. Doch, glaubt der Coach, wäre nur das 1:0 gefallen, „dann hätten wir befreiter aufgespielt und gewonnen.“ Die Botschaft: So viel Pech hat man nur einmal, also wird es gegen Bulgarien klappen. Und damit ein jeder weiß, um was es geht am Mittwoch, hat Clemente die Partie zu einem, jawohl, „Endspiel“ erklärt.

Wird Bulgarien besiegt, bedarf es für Spanien aber immer noch ein bißchen nigerianischer Schützenhilfe. Die Afrikaner, die Platz eins bereits sicher haben, müßten gegen Paraguay mindestens unentschieden spielen. Wer aber auch immer hinter Nigeria die Runde der letzten 16 erreicht, auf den wartet Gastgeber Frankreich. Wir sind sicher, der Trainer des glücklichen Gruppenzweiten wird das im gleißendem Scheinwerferlicht zu interpretieren wissen und sagen, um was es sich dann handelt: Um ein Endspiel, selbstverständlich. Ralf Mittmann