Das Porträt: Kein glühender Fanatiker
■ Karsten Hinrichsen
Es hatte ein Feiertag sein sollen für Karsten Hinrichsen. Krümmel, Brunsbüttel und Brokdorf, alle drei schleswig- holsteinischen Atommeiler, sind seit Freitag abgeschaltet – wenn auch nur vorübergehend für Überwachungsarbeiten. Doch der Atomkraftgegner hatte wenig Grund zum Jubeln: Am Nachmittag wies das OVG Schleswig seine Klage gegen das AKW Brokdorf ab, dem der 55jährige seit zwölf Jahren die Existenzberechtigung abspricht. Zwölf Jahre, die ihn zur Symbolfigur der norddeutschen Anti-AKW-Bewegung gemacht haben.
Mit der Akribie eines Wissenschaftlers hat der promovierte Meteorologe aktenweise Nachweise über die Risiken von AKWs erbracht. Auf der Gerichtsbank stapeln sich die Berechnungen über den Einfluß von Wind, Temperatur, Wetter auf Reaktorenstandfestigkeit und Schadstoffausstoß. So weiß er „besser als die Gerichte“, warum die AKWs abgeschaltet werden müssen: Sie seien „geeignet, das Leben einer ganzen Nation zu verändern“. Die Stimme klingt verwirrend sanft. Da steht kein Fanatiker, der flammende Reden hält. Ihm geht es um mehr – darum, „daß ich mein Leben nicht so leben kann, wie ich es mir wünsche: Torte essen, Erdbeeren ernten und abends auf dem Deich das Wetter beobachten“. Das AKW Brokdorf verletze sein Karsten HinrichsenFoto: Heike Haarhoff
Grundrecht auf persönliche Unversehrtheit, „weil die 430 Liter Milch, die ich jährlich verzehre, überdurchschnittlich mit radioaktivem Jod belastet sind“.
Auch im 900-Seelen- Brokdorf wird ihm sein Engagement selten gedankt. Ein notorischer Unruhestifter sei er, zischeln die Nachbarn, einer, der die Fernsehkameras in den Ort holt und doch nur deswegen von Hamburg nach Brokdorf gezogen sei, um klagen zu können. Selbst die Unterstützung aus den eigenen Reihen bröckelt: Hinrichsen war „ziemlich niedergeschmettert“, als seine grünen Parteifreunde in der Kieler Landesregierung beantragten, die Klage abzuweisen. Ohne Änderung des Bundes-Atomgesetzes lasse sich nichts bewirken. Doch er ist nachsichtig: „Ich führe den Prozeß stellvertretend für sie alle“, 50.000 Mark hat ihn das bereits gekostet. Woher nimmt so einer die Kraft weiterzumachen? „Die Zeit arbeitet für mich“, sagt Hinrichsen. Deswegen will er noch, „bevor ich 60 bin und mich zur Ruhe setze“, vors Bundesverfassungsgericht: „Das ist mein höchstes Ziel.“ Heike Haarhoff
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen