Fische fangen für den Zuchtlachs

■ Bericht des Worldwatch Instituts: Die nördliche Fischzuchtindustrie trägt die Mitverantwortung für die Überfischung der Weltmeere

Washington (taz) – Auf dem Fischmarkt an Washingtons Wasserfront türmen sich Krebse und Krabben, Thun- und Haifisch. Der Reichtum kommt aus der Chesapeake Bay vor der Haustür, den wärmeren Gewässern der Carolinas und den eiskalten Hummergärten vor der Küste Maines. Die Preise schwanken nach Saison, sind aber bezahlbar. Denn weltweit wurden 1997 121 Millionen Tonnen gefangen – ein Rekord. Augenschein und Statistik aber täuschen. Das Worldwatch Institut in Washington hat am Wochenende einen Bericht vorgelegt: Elf der 15 Fanggründe dieser Welt sind bedroht, fast zwei Drittel der Arten, die für den Verzehr geeignet sind, werden überfischt, 200 Millionen Menschen, deren Ernährung vom Fisch abhängt, sind existenziell bedroht. In 40 Jahren, so der Bericht, wird die Fischerei am Ende sein.

Wie kommt es zu diesem Widerspruch? Die Zusammensetzung des Fangs hat sich dramatisch verändert. Heute füllen sich die Netze nicht mehr mit so begehrten Sorten wie Dorsch und Kabeljau, deren Fang um sechzig Prozent zurückgegangen ist, sondern mit sogenannten Müllfischen, die früher weggeworfen wurden. Ihr Anteil am Fang ist um siebzig Prozent gestiegen. Ein Viertel wird auch heute noch ins Meer gekippt.

Aquakulturen, die beispielsweise in China eine jahrhundertealte Tradition haben, galten lange Zeit als mögliche Lösung des Problems der Überfischung. Inzwischen steht fest, daß sie mit dazu beitragen. Handelt es sich doch um eine intensive Industrie, die ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen betrieben wird. Die begehrtesten dieser Farmfische sind Fleischfresser, zu deren Aufzucht Unmengen von Fisch zu Fischfutter verarbeitet werden – zwischen 1985 und 1995 36 Millionen Tonnen, mit denen gerade mal 7,2 Millionen Tonnen Lachs und Krabben hochgepäppelt werden konnten.

Hinzu kommt, daß die Fischzuchten durch den Einsatz von Antibiotika und Düngemitteln natürliche Leich- und Brutplätze zerstören. Shrimps etwa gedeihen am besten in Meeresgebieten, wo sich Süß- und Salzwasserströmungen durchdringen. Die Zuchtfischindustrie versucht diese natürliche Bedingungen in Mangrovensümpfen, in Marschen und sogar auf Land durch Überflutung von landwirtschaftlicher Nutzfläche nachzubilden. Damit zerstört sie wertvolles Ackerland oder ökologisch labile Meeresregionen. Kurzfristig bringt das rund 10.000 US-Dollar pro Hektar – zehnmal so viel wie die traditionelle Karpfenzucht. Langfristig aber sind die Schäden weit höher als der Exportwert des Zuchtfisches.

Das Angebot von Fischen aus Fischfarmen steigt jährlich um 10 Prozent, heute stammt jeder fünfte Fisch, der in der Bratpfanne oder im Kochtopf landet, aus der Zucht. Und längst kann ein Großteil der Weltbevölkerung sich die eiweißreiche Ernährung nicht mehr leisten. Auf der Nordhalbkugel wird bereits mehr Fisch industriell verarbeitet, als im Süden gegessen wird. Die USA, selbst reich an Fanggründen, importieren 83 Prozent des Weltfischfangs. Nicht anders als in der Landwirtschaft führt das Sinken der Fänge zu Subventionierung. Zwischen 22 und 38 Prozent der Einnahmen der Fischer stammten 1997 aus Subventionen, die den Ruin von Küstenregionen aufhalten sollen.

Ob die Entwicklung noch aufzuhalten ist? Anne Platt-McGinn, Autorin des Worldwatch Berichts, ist skeptisch. Mindestens drei Forderungen müßten erfüllt sein: Neben dem Schutz ökologisch labiler Meeresregionen und geringeren Fangkapazitäten verlangt sie ein geändertes Bewußtsein bei Regierungen und Konsumenten. „Ein Boykott von Zuchtlachs und Shrimps würde schon helfen.“ Peter Tautfest