In Minsk geschieht Gottes Wille

Nach den Oppositionellen knöpft sich der weißrussische Präsident Lukaschenko die Diplomaten vor. Heute kehren die EU-Botschafter der Hauptstadt den Rücken  ■ Von Barbara Oertel

Berlin (taz) – Weißrußlands Staatspräsident Alexander Lukaschenko hat es nun doch noch geschafft, die Botschafter der Europäischen Union aus dem Land zu graulen: Heute werden sie das ungastliche Minsk verlassen. Daß es dazu kommen würde, war bereits im April abzusehen. Da hatte die Regierung die Diplomaten ultimativ aufgefordert, ihre Residenzen im Minker Stadtviertel Drosdi bis Mitte Juni zu räumen. Als Grund für die abrupten Wohnungswechsel wurden dringende Reparaturarbeiten angegeben. Als sich die Diplomaten unwillig zeigten, rückten die staatlichen Entmietungskommandos an. So fand sich der US-Botschafter Daniel Speckhard plötzlich vor verschlossenen Haustüren wieder. Dem deutschen Vertreter Horst Winkelmann erging es am vergangenen Wochenende nicht besser. Sicherheitskräfte verweigerten ihm den Zutritt zur Residenz. Überdies ließ Lukaschenko in den Botschaftergebäuden auch gleich noch sämtliche Telefonleitungen sowie die Versorgung mit Wasser, Gas und Strom kappen.

Bereits in der vergangenen Woche hatte die russische Wochenzeitung Moskovskie Novosti über die wahren Absichten Lukaschenkos, die westlichen Repräsentanten so unsanft auszuquartieren, spekuliert: „Weißrußlands Präsident hat, im Fall einer Nato-Osterweiterung, stets mit adäquaten Maßnahmen gedroht. Jetzt, so scheint es, hat er diese adäquaten Maßnahmen gefunden.“ Vielleicht aber brauche Lukaschenko, dessen Sommerresidenz sich zufällig in der Nähe der reparaturbedürftigen Botschaftergebäude befindet, einfach nur mehr Platz? Schließlich träume er schon lange von einem richtigen Tennisplatz. In jedem Fall: „Was das Staatsoberhaupt will, das ist auch Gottes Wille.“

Ähnlich wie Moskovskie Novosti tappte auch Bundesaußenminister Klaus Kinkel im weißrussischen dunkeln. Das Verhalten der Regierung sei völlig unverständlich und Präsident Lukaschenko manövriere sein Land damit immer weiter in die Isolation, ließ Kinkel am Wochenende erklären. Doch was sich der Minister nicht recht vorstellen kann, wundert unter den wenigen Kritikern des diktatorischen Regimes à la Lukaschenko niemanden mehr. „Dieser Streit liegt in der Logik des Systems“, sagt ein Journalist der oppositionellen Zeitung Naviny. „Erst waren wir dran, jetzt sind es die Diplomaten. Gesetze haben Lukaschenko nie interessiert, er macht, was er will. Aber auch diese Krise wird er überstehen.“

Seit November 1996, als sich Lukaschenko unbegrenzte Vollmachten und eine Verlängerung seiner Amtszeit über das Jahr 2000 hinaus per Referendum vom Volk absegnen ließ, ist eine regelrechte Jagd auf Oppositionelle an der Tagesordnung. Valerij Schurkin, Mitglied der kommunistischen Partei und bereits mehrfach als Kritiker Lukaschenkos aufgefallen, sitzt seit vergangener Woche im Gefängnis, weil er die Freilassung eines Abgeordneten gefordert hatte. Anfang Juni passierte ein Gesetz das Lukaschenko treu ergebene Parlament, wonach eine Beleidigung des Präsidenten mit Gefängnis von bis zu sechs Jahren bestraft wird. Staatlichen Stellen ist es ohnehin schon seit einiger Zeit verboten, oppositionellen Medien Informationen zu geben.

Doch das ficht Lukaschenko nicht an. Im Gegenteil: Anläßlich des 50. Jahrestages der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat sich die Regierung eine Menge vorgenommen. So wurde die Minsker Verwaltung per Präsidentenerlaß angewiesen, bis Ende des Jahres Transparente mit der Erklärung der Menschenrechte vorzubereiten und an allen wichtigen Orten in Minsk und anderen Gebietshauptstädten aufhängen zu lassen. Auch ist geplant, den Text der Menschenrechtserklärung an alle Haushalte zu verschicken. Sollte die Erklärung nicht vorher in der Präsidentenadministration etwas bearbeitet werden, kann sich der Präsident kaum viele Leser dieses Dokuments wünschen.