Röstel fällt Trittin in den Rücken

■ Wahlkampf paradox: Bündnisgrüne Sprecherin Gunda Röstel gegen bündnisgrünen Sprecher Jürgen Trittin. Rücktrittsforderungen und Solidaritätsbekundungen für und gegen den Vorstandssprecher spalten die Partei

Bonn (taz) – Die Grünen haben ihren wichtigsten Wahlkampfgegner gefunden: die eigene Partei. Der Streit um Äußerungen von Jürgen Trittin hat sich übers Wochenende zugespitzt. Selbst seine Kollegin, Vorstandssprecherin Gunda Röstel, hielt gestern mit ihrer Ansicht nicht mehr hinter dem Berg: „Es ist nicht meine Funktion, meinen Sprecherkollegen zum Rücktritt aufzufordern. Aber daß ich zu seinem Auftreten eine sehr kritische Haltung habe, das habe ich ihm auch schon sehr deutlich gemacht“, sagte sie der taz. Der Bundestagsabgeordnete Manuel Kiper forderte ebenso wie zuvor bereits sein Fraktionskollege Gerd Poppe Trittins Rücktritt. Der Vorgänger als Parteichef, Ludger Volmer, sieht in der Kritik am Vorstandssprecher dagegen eine „Mobbing-Kampagne der Realos“. Von den grünen Landesverbänden verlangte das Saarland den Rücktritt Trittins, Berliner Grüne erklärten solche Forderungen dagegen für „völlig absurd“.

Trittin hatte auf einer Protestveranstaltung gegen ein öffentliches Rekrutengelöbnis in Berlin am 10. Juni Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) vorgeworfen, die Bundeswehr mit der Veranstaltung am Jahrestag des Massakers von Lidice in die Tradition der Wehrmacht zu stellen. Alle Einwohner des tschechischen Dorfes waren 1942 von Gestapo und SS ermordet oder verschleppt worden. Trittin hatte seine Äußerungen am vergangenen Freitag auf einer Pressekonferenz verteidigt und zu parteiinterner Kritik daran nicht Stellung nehmen wollen. Dabei blieb er auch gestern: „Ich werde am Montag den entsprechenden Gremien dazu etwas sagen. Ich trage diese Debatten im Wahlkampf nicht öffentlich aus“, sagte er der taz.

Das tun dafür andere. Gunda Röstel meinte, bis vor zwei Tagen habe auch sie gewünscht, daß die Auseinandersetzung nicht öffentlich geführt werden müsse. Die Lage habe sich geändert: „Jetzt muß man auch öffentlich Position beziehen. Wenn er anders auf die Kritik reagiert hätte, hätte es schneller eine Befriedung gegeben.“ In Teilen der Bevölkerung werde Trittins Auftritt vom Freitag „als arrogant und negativ eingeschätzt“.

Der Streit um den Vorstandssprecher spaltet die Partei. Schon lange ist ein Konflikt nicht mehr so präzise entlang der internen Strömungslinien verlaufen. Während einige Bündnisgrüne aus Berlin, darunter der prominente Parteilinke Christian Ströbele, Trittin unterstützten, forderte der saarländische Landesvorsitzende Hubert Ulrich den Parteichef zum Rücktritt auf. Auch der Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger meint, Trittin sei „für die Partei nicht tragbar“. Er solle sich in den letzten Monaten seines Amtes „zurücknehmen“.

Der Vorstandssprecher wird nach den Wahlen Bundestagsabgeordneter, sollte seine Partei die Fünfprozenthürde überspringen. Wegen der bei den Grünen vorgeschriebenen Trennung von Amt und Mandat muß er dann seine Position im Bundesvorstand aufgeben. Einen ähnlichen Werdegang hat Trittins Vorgänger Ludger Volmer hinter sich. Der Bundestagsabgeordnete meinte gestern zur Kritik von Fraktionskollegen am Vorstandssprecher: „Daß sich Poppe, Schulz, Eid, Kiper und Metzger bei den Konservativen anbiedern, sollte man nicht überbewerten. Sie haben schon in der Schule gepetzt.“ Bettina Gaus

Tagesthema Seite 3