Der japanische Koloß setzt sich in Bewegung

■ Nach Druck der G 7 und drohendem Großbank-Konkurs beginnt Sanierung des Finanzsektors

Tokio (taz) – In Tokio sind die Politiker gestern mit einem erneuten Knall aus ihrer Lethargie geweckt worden. Hohe Kursverluste der Bankentitel, der erneut fallende Yen und ein drohender hochkarätiger Bankenkonkurs wirkten auf die japanische Regierung, sofort mit der Kreditmisere im Finanzsektor aufzuräumen. Entscheidenden Druck hatten auch die westlichen G-7-Staaten beim Wochenendgipfel der G 7 in Tokio ausgeübt. In einem frühmorgens einberaumten Treffen einigten sich die Spitzenpolitiker der regierenden Liberaldemokraten gestern darauf, mit Hilfe einer Überbrückungsbank, die das Geschäft von bankrotten Geldinstituten übernimmt, die Misere schnell zu beheben.

Ausschlaggebend für den neuen Lösungsansatz waren die spektakulären Kursverluste des angeschlagenen Kreditinstitutes Long Term Credit Bank (LTCB). Am Schluß des Morgenhandels stürzten die Wertpapiere der Großbank gestern um 50 auf 62 Yen ab. In Tokio gilt die Regel, daß ein Unternehmen, dessen Aktien unter 100 Yen fallen, kurz vor dem Konkurs steht. Finanzanalysten in Tokio weisen darauf hin, daß die Reaktion der Regierung auf diese drohende Großpleite ausschlaggebend für den gesamten Finanzsektor werde. Kaum wurde die Idee von der Überbrückungsbank angekündigt, erholte sich der Nikkei- Börsenindex im späten Handel wieder.

„Taten und keine schönen Worte sind jetzt gefordert“, sagte Masaru Takagi, der angesehene Chefökonom vom Fuji Research Institute. Der Fall der LTCB – immerhin Japans zweitgrößte Bank, die auf die Vergabe von langfristigen Krediten spezialisiert ist – steht exemplarisch für den gesamten Finanzsektor Japans. Die LTCB ächzt unter der Last von 1.569 Milliarden Yen (20,4 Milliarden Mark) an faulen Krediten.

Nicht besser geht es den anderen Banken. Die 18 größten Geldinstitute des Landes wiesen auf den Bilanzstichtag vom 31. März nach eigenen Angaben faule Kredite in der Höhe von 21,7 Billionen Yen aus. Wirtschaftsexperten gehen jedoch davon aus, daß unsichere Darlehen im gesamten Finanzsektor inzwischen auf 100 Billionen Yen (1,3 Billionen Mark) gestiegen sind.

Die LTCB-Führung deutete dann am Wochenende an, daß eine Rettung der Bank nur mit einer öffentlichen Finanzspritze möglich wäre. Zwar bewilligte die japanische Regierung schon im Februar ein Stabilisierungspaket von 30 Billionen Yen für den Finanzsektor. Davon sind 17 Billionen Yen zum Schutz von Spareinlagen und 13 Billionen Yen zur Rekapitalisierung von angeschlagenen Banken vorgesehen. Dennoch trat keine Ruhe im Finanzsektor ein, weil unklar war, an welche Banken und nach welchen Kriterien die Gelder verteilt werden sollten.

Nun hat gestern eine unabhängige Kontrollbehörde für das Finanzwesen die Arbeit aufgenommen. Die neue Behörde übernimmt Funktionen, die bisher dem Finanzministerium oblagen. Mit dieser Behörde und einer Überbrückungsbank hat die japanische Regierung endlich die Instrumente zur Hand, mit der Kreditmisere aufzuräumen. André Kunz