Mon Dieu Mondial
: Samba im Hintergrund

■ Bei der WM verschwimmen die Grenzen zwischen Fußball, Rave und Popkultur

Nach den Ausschreitungen englischer Hooligans gegen tunesische Jugendliche gab es harte Strafmaßnahmen – vor allem gegen die Franzosen. Nicht nur wurde der Alkoholausschank in den Kneipen innerhalb der WM-Krisengebiete verboten oder manche Bar gleich ganz geschlossen; in Toulouse wurde am Wochenende sogar die Fête de la musique abgeblasen. Man befürchtete eine Konfrontation zwischen britischen Schlachtenbummlern und jungen nordafrikanischen Migranten, die, aufgestachelt vom Trubel des Musikfestivals, eine Revanche für die Schläge von Marseille suchen würden.

Nun ist die Fête de la Musique nicht mit „Rock am Ring“ oder irgendeinem anderen Open-air-Monster zu vergleichen. Nachwuchsbands aus verschiedenen Ländern spielen im Austausch mit ihren Kollegen. Berliner Popsternchen wie die Lemonbabies treten in Genua auf, im Gegenzug rappen eben Genuesen an der Kreuzberger Hasenheide. Das Ganze ist auch ein Spektakel in Sachen Multikultur, und darin liegt das besondere Ärgernis des ängstlich abgesagten Konzerts: Die Wettkampfmaschinerie, die mit der Fußballweltmeisterschaft losgetreten wurde, frißt selbst die völkerverbindenden Kräfte des Pop. Indem die Spiele in Frankreich mit einem familienkompatiblen Beiprogramm aus Karneval und Fernsehshows eingerahmt werden, scheint der Sport ohnehin eher wie eine Steigerung der Popkultur zu funktionieren.

Tatsächlich lebt gerade die Euphorie des britischen Fußballs von der Verbindung zur Musik. Pophymnen treiben die Jungs in Frankreich an: Echo & The Bunnymen haben mit den Spice Girls den offiziellen WM- Song „(How does it feel to be) on top of the world“) für England aufgenommen, Chumbawamba mit dem alternativen „On top of the world (olé, olé, olé)“ gekontert, und selbst der durchgedrehte Theken-Raver „Vindaloo“ ist in den Top ten der UK-Charts plaziert. Zu jedem Spiel der englischen Nationalmannschaft überträgt Londons Radio 1 von vor Ort eine Roadshow mit Gästen, zum Spiel in Lens am 26. Juni werden sämtliche an den WM-Hits beteiligten Popstars erwartet. Für Schottland sind Del Amitri mit ihrer melancholischen Ballade „Don't come home too soon“ am Start, damit ihr Team endlich einmal das Achtelfinale erreicht. Hätten sich die US-Amerikaner von Puff Daddy einen Rap schreiben lassen, wären sie vielleicht nicht so sang- und klanglos in der Vorrunde ausgeschieden.

Besser als in der Musik lassen sich die kollektiven Wünsche kaum bündeln; sie verleiht der Masse derer Ausdruck und Zusammenhalt, die nicht in den Stadien, sondern zu Hause oder im Pub vor dem Fernseher mitzittern. Das gilt für alle Länder. Bevor überhaupt jemand in Europa ein Spiel der Jamaikaner gesehen hatte, wußte die ganze Welt bereits darüber Bescheid, daß bei den „Reggae Boyz“ der Roots- und Dancehall-Sound die Spielfreude wesentlich mitbestimmen (leider kam es in den Stadien dann gar nicht zum Soundclash).

Selbst Mannschaften wie Brasilien lassen sich nachhaltiger durch Samba-Rhythmen charakterisieren als mit ihren Stars am Ball. Schon Monate vor der Weltmeisterschaft sah man Denilson und Co. in einem Nike-Werbespot für MTV leichtfüßig und lächelnd über die Rollbänder eines Flughafens tänzeln, immer den Samba im Hintergrund. Aufgrund dieser Pop-Konstellation mit hohem Wiedererkennungswert sind Brasilien-Spiele schon ein klein bißchen Vorwegnahme der Love Parade, die in völliger Unkenntnis der WM-Logik am 11. Juli stattfindet – während in Paris um den 3. Platz gespielt wird. Glücklicherweise stehen die Brasilianer am nächsten Tag im Finale. Harald Fricke

Der Autor ist Kulturredakteur der taz.