Haut hört mit!

Plattencover, Vinyl, Teller, Tonarm, Ohr, Magen: Der Londoner Musikjournalist Kodwo Eshun sucht nach dem Zusammenspiel von Sound und Körper. Was passiert wirklich, wenn der Baß dich trifft? Das Effektgerät läuft immer mit – auch im Text  ■ Von Ulrich Gutmair

Als Techno die traditionellen Diskussionen über Pop ins Stottern brachte, war die Krise da. Genau an dem Punkt setzt „More Brilliant Than The Sun“, das erste Buch des Londoner Musikjournalisten Kodwo Eshun, den Hebel an: Kein Diskurs, keine Zeichen ragten aus der Musik heraus, so angestrengt die Pop-Polizei auch hinhörte. Statt dessen Bässe, Beats und Drogen, die das Internal Empire von Magenwänden, Muskeln, Kreisläufen, Frequenzen und Rhythmen neu justierten und mit der Wahrnehmung von Innen und Außen, Zeit und Raum herumspielten.

„More Brilliant Than The Sun“ geht es um die „co-evolution of the futurhythmachine“, worunter Eshun ein Zusammenspiel versteht: Sounds und Rhythmen als Interfaces von Technologie und Körper. Seine „Adventures In Sonic Fiction“ – so der Untertitel – hören bewußt damit auf, überhaupt von „Black Music“ zu reden, interessieren sich kaum für deren Produzenten, und schon gar nicht für die Mythologien der Straße und die extensiven Rekonstruktionen schwarzer Geschichte wie HipHop und R & B sie verfolgen.

Eshun hat seinen McLuhan gelesen und betrachtet etwa die Acid-Pioniere Phuture nicht als geniale Künstler, sondern als menschliche Extensionen des Roland 303-Bass-Sequenzers. Soul hat keinen Platz in Eshuns Überlegungen zur Kinaesthetik von Drum'n'Bass oder den verschiedenen Modellen akustischer Kriegsführung bei Public Enemy oder Underground Resistance. Eshuns Version von schwarzer Science-fiction heißt „Sonic Fiction“. Sie macht sich an der Faszination fürs Maschinelle, Anti-Humanistische fest und speist sich aus den Sounds von Klang- und Rhythmussynthesizern, Effektgeräten, Tracktiteln und Plattencovern.

In der „Sonic Fiction“ liegen die Hinweise zur Interpretation eines Diskontinuums, das sich von Sun Ra über beinahe vergessene Jazz- Electronica der Siebziger hin zu George Clintons P-Funk, zu Bands/ Kollektiven/Genres wie Mantronix, Detroit Techno und den Jungle Brothers erstreckt. Anstatt die großen Namen abendländischer Philosophie zu ihrer Legitimation heranzuziehen, greift der Text auf die intellektuellen Konzepte zurück, die in Eshuns Lieblingsmusiken als Label Art und Linernotes nur aufs Abholen gewartet haben, und verzichtet mehr oder weniger auf einen roten Faden. Jeder Abschnitt ein Modul, manchmal auch nur drei Sätze lang. Der Text wird via Cut & Paste zum Äquivalent eines DJ Sets. Die Neologismen, die Eshun sich von denen sampelt, die im 20. Jahrhundert mit elektronischen Sounds und hyperkomplexen, parallelen Rhythmen experimentiert haben, generieren eine kalt schillernde Textur – in einer Dichte, die allerdings manchmal müde macht.

Eshun analysiert akribisch kurze Breakbeat-Schnipsel von Grandmaster Flash, die Zusammenhänge zwischen MC Escher, Graffiti und den Breaks von Goldie, um einen Moment später detailliert über den Einsatz von Baßfrequenzen, stolpernden Beats und die Slogantechniken in Parliaments P-Funk zu räsonnieren. Eshun begründet seine Argumentationen am liebsten mit dem vorhandenen Material: Plattencover, Plattenspieler, Tonarm. Also das, was tatsächlich als Rhythmus, Sample oder Modulation aus den Boxen rauskommt, und wie es in den Ohren, in den Beinen oder auf der Haut ankommt: „The skin starts to hear for you.“

P-Funk etwa ist für Eshun gerade nicht der Slogan, man müsse bloß sein Bewußtsein in Bewegung setzen und der Arsch würde schon folgen, sondern die Anwendung dieses Slogans zum Zweck einer „Mixadelic Mood Control“, wie Ober-P-Funker George Clinton sagt. So verstanden ist P-Funk psychoakustischer Funk, Stimmungsmaschine. Sein Interesse ist es, die Hierarchien von Organen und Körperteilen auf den Kopf zu stellen und den Funk in willige Nervensysteme zu implantieren: „Deprogram! Reprogram!“

Die sozioökonomischen Bedingungen von Sound und Rhythmus – so sie überhaupt auftauchen – gehorchen der Nahaufnahmen-Perspektive Eshuns. Im Flow der Worte finden sich schöne Zitate, etwa aus Norbert Wieners „Mensch und Mensch-Maschine“: „Erinnern wir uns, daß der Automat das genaue wirtschaftliche Äquivalent des Sklaven ist.“ „More Brilliant Than The Sun“ ist mit seinem Willen zu Maßlosigkeit und Übertreibung dabei völlig ignorant gegenüber traditioneller Wissenschaft und Musikjournalismus gleichermaßen und holt sich aus den Kognitionswissenschaften, der Robotik und obskuren Technotheorien gerade das, was er gebrauchen kann. Das erfordert Konzentration, macht aber Spaß und verdient einen Platz neben David Toops „Ocean of Sound“ allemal.

Kodwo Eshun: „More Brilliant Than The Sun. Adventures In Sonic Fiction“. Quartet Books. London 1998. £ 10.00