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■ Die AnderenNach den Ausschreitungen der Hooligans stellt "Le Figaro" die Freizügigkeit innerhalb der EU in Frage / "Liberation" sieht die Hooligans als Ausdruck städtischen Verfalls, "Die Presse" als ein exportiertes dt. Neonazi-Problem

Nach den Ausschreitungen der Hooligans am Rande der Fußball-WM stellt „Le Figaro“ (Paris) die Freizügigkeit innerhalb der EU in Frage: Die englischen Rowdies, die vergangene Woche Marseille verwüstet und diese Nacht Toulouse beunruhigt haben, sind Produkte der auf der anderen Seite des Kanals vor allem in bestimmten Medien geschürten Frankophobie. Die deutschen Rohlinge, die am Sonntag Lens terrorisiert und einen Gendarmen schwer verletzt haben, sind die Erben einer minoritären, aber tolerierten Neonazi-Ideologie. Wenn diese Barbarei anhält, verdient die Frage nach einem weiteren Verbleib dieser Nationen im WM-Wettbewerb gestellt zu werden.

Die Schönheit des Spiels macht keinen Sinn mehr, wenn die Raserei der Hohlköpfe das Fest überschattet. Ein solcher Ausgang – zwei Länder wegen einer Handvoll Fanatiker auszuschließen – würde den Anspruch der Gerechtigkeit nicht befriedigen. Aber das Ausmaß der Gewalt ist dabei, unerträglich zu werden. Was sich Tag für Tag abzeichnet, ähnelt zunehmend einer unkontrollierbaren und revanchistische Invasion. Kann unter den Bedingungen die dauerhafte Öffnung der europäischen Grenzen ihre Rechtfertigung finden?

Die ebenfalls in Paris erscheinende „Libération“ vertritt dagegen die Auffassung, die Hooligans seien Ausdruck des städtischen Verfalls: Die Hooligans sind ein soziales Phänomen, das weniger dem Fußball als dem städtischen Verfall entspringt. Die Gewalt um die Stadien als einstiger Arbeiterprotest aus der Zeit der Rocker drückt nach Spezialistenmeinung die durch die Sozialkrise entstandenen Frustrationen und Haßgefühle aus. Sie erstreckt sich auf bestimmte Mittelschichten, geht aber immer zurück auf eine Zukunftsangst, eine berufliche Verunsicherung, einen „wirtschaftlichen Horror“. Auf diese Verzweiflung klemmt sich oft die Neonazi-Ideologie oder schlicht Ausländerfeindlichkeit. Die extreme Rechte findet in den Kurven der Stadien ein geeignetes Milieu für ihre machistische, gewalttätige, herdenmäßige und chauvinistische Propaganda.

„Die Presse“ (Wien) sieht in den Ausschreitungen ein exportiertes deutsches Neonazi-Problem: Sind die Sicherheitskräfte in Europa zu schwach, sind die Hemmungen der Demokratie zu stark, um solche Kriminelle aus dem Verkehr zu ziehen? Schade, daß immer wieder der Fußball diesen Ausschreitungen als patriotischer „Aufhänger“ dient. An sich hat er gerade in seinen politisch sensibelsten Bezirken wenig mit Gewalt zu tun, wie das Sonntagsspiel Iran–USA mustergültig bewiesen hat. Eher ist es ein exportiertes deutsches Neonazi-Problem – mit dem (auch) Europa fertig werden muß. Ebenso entschlossen sind die britischen Hooligans zu bekämpfen. Denn mörderische Eisenstangen führen diese wie jene mit sich.

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