Mon Dieu Mondial
: Königsfouls

■ Als Werner Liebrich dem brasilianischen Stürmer Ronaldo die Armschlinge anlegte

Soll Egidius Braun Michel Platini gefragt haben: „Michi, kannst du mir sagen, warum die Exoten immer so foul spielen müssen?“ – „Weil sie es von Kohler nicht besser gelernt haben, Monsieur Braun.“

Gegen das Dritte-Welt-Klischee, die Außenseiter hätten außer bunten Vögeln und ungestümen Tretern nichts zu bieten, langte der säuerliche Schotte Burley beim Abschied hin, aus Wut über die eigene Unfähigkeit, nicht einmal den größten Fliegenfänger des Turniers überwunden zu haben. Und dennoch hätte ein afrikanischer Foulspieler beinahe unrühmliche WM-Geschichte geschrieben. Als Said Chiba zum Stollentritt auf den Oberschenkel des Gottähnlichen ansetzte, hielt das Turnier für einen Moment den Atem an. Brasilien gegen Marokko. Dem unersetzlichen Ronaldo wäre fast das einstige Bundesligaschicksal des aufgeschlitzten Lienen zuteil geworden.

Die Geschichte der turnierbrechenden Königsfouls ist lang. Auf der Faschisten-WM 34 wurde Sindelar, der Papierne, von Duces Squadra krankenhausreif getreten, das favorisierte Wiener Wunderteam resignierte. Über die Titelverteidigung im Coupe danach entschied ebenfalls eine Verletzung, die des legendären brasilianischen Goalgetters Leonidas, der einer WM-Sage zufolge die Viertelfinalverlängerung gegen die Tschechen auf morastigem Boden barfuß (!) bestritten haben soll.

Liebrich trat Puskas beim Baseler 3:8 folgenschwer. Der „Major“ mußte daraufhin bis zum Berner Finale aussetzen, in dem er zwar ein Tor schoß, aber nicht im Vollbesitz seiner dynamischen Kräfte schien. Als Weltmeister Fritz Walter – nach Tackling des Schweden Parling – vom Göteborger Rasen humpelte, war Herbergers Titelverteidigung jäh gescheitert.

Doch auch dem neuen König Pelé wurde übel mitgespielt. In Chile früh verletzt, mußte ein gewisser Amarildo in zu großen Stiefeln reüssieren. In England wurde Pelé gleich von zwei Portugiesen niedergemetzelt. Brasilien schied in der Vorrunde aus, und Eusebio trat aus dem Schatten des großen Vorbilds. Der neue Weltmeister, Bobby Charlton, verließ erschöpft und verletzt den Glutrasen von León anno 70, ehe das deutsche Unheil über die Engländer hereinbrechen sollte. Doch auch das Glück der Sieger währte nicht lange. Beckenbauer wurde in Azteca die Armschlinge angelegt, dadurch waren Schöns Mannen im Jahrhundertmatch entscheidend geschwächt.

1974, nach einem üblen Foul an Johan Neeskens, mußte Brasiliens Abwehrstar Luiz Pereira vom deutschen Feld. Der Titelverteidiger war am Ende und Holland im Finale. Mehr Hoffnung auf eine erfolgreiche Cupverteidigung machten sich die Argies in Spanien 82 mit dem Rohdiamanten Maradona im Aufgebot. Doch der junge Diego verlor die Nerven, zermürbt von Gentiles Tritten, und flog vom Platz.

Said Chibas Ansatz zu einem Königsfoul blieb zum Glück des Turniers erfolglos. Außer Ronaldo ist jeder ersetzbar. Als Kluivert und Zidane des Feldes verwiesen wurden, kickten Djorkaeff und Bergkamp vollwertig weiter. Davids ließ Reals Seedorf vergessen. Selbst Kolumbiens Star Asprilla wurde anstandslos aus der WM-Equipe gefeuert – was wohlbemerkt nicht wörtlich gemeint ist.

Als der junge Römer Nesta von den Österreichern aus dem Turnier getreten wurde, wünschten ihm seine Landsleute aus gutem Grund eine angemessene Regenerationszeit: 94 war Baresi zu früh vom Operationstisch ins Finale gehüpft und gehörte dort beim Penalty- Schießen zu den Versagern. Norbert Seitz

Verfasser des Buches „Doppelpässe, Fußball & Politik“, Eichborn Verlag