Bloß keinen unbedachten Spontispruch mehr!

■ betr.: „Deckung! Trittin unter Sperrfeuer“, „Selbstzerflei schung“, taz vom 20./21.6.98, „Rö stel fällt Trittin in den Rücken“, „Wahlkampf macht dumm“ etc., taz vom 22.6.98

Die heutige Karikatur trifft's genau: Kaum wagt jemand, Kritik an der BW zu üben und an ihren großmannssüchtigen Auftritten, fallen die eigenen Leute über einen her. In ihrer regierungs- und machtsüchtigen Betriebsblindheit müssen die Grünen sich wirklich fragen lassen, wie viele der bisherigen Standpunkte, wie viele der bisherigen alternativen Politikansätze, wieviel ihrer eigentlichen Substanz sie denn noch um der sogenannten „Politik-/ Koalitionsfähigkeit“ willen aufgeben wollen – damit sie ihre bisherigen Wähler endgültig loswerden? [...] Ulrich Ch. Blortz, Köln

Mensch mag es kaum glauben, aber bis jetzt repräsentieren Bündnis 90/Die Grünen noch Alternativen auf Politikfeldern wie Ökologie, Militär und anderen. Zwar ist es für das politische Überleben einer Partei wichtig, die in einer Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen zu reflektieren, um mit den eigenen Zielen nicht in das politische Abseits zu geraten, andererseits kann das nicht rücksichtslos hinsichtlich des für den Zusammenhalt der eigenen Partei bestimmenden politischen Konsenses geschehen. Wenn es die Führung von Bündnis 90/Die Grünen darauf anlegt, sich ohne Selbstverständigung über die Rückwirkung auf die Partei und ihre Anhänger an jeden herrschenden Trend zu hängen und dabei ihren gesellschaftlichen Ort zu vergessen, dürfte es den Grünen bald wie der FDP gehen: Ohne Profil, das heißt ohne eine für die interessierte Anhängerschaft wahrnehmbare Identität und Repräsentation gesellschaftlicher Konflikte, braucht es die Grünen nicht; da kann mensch gleich dies oder das oder gar nichts wählen. Gero Neugebauer,Berlin

Ja, ja, die Bündnis-Grünen; und am Ende schneiden sie sich auch noch lüstern ins eigene Fleisch. Tja, wenn man schon keine Ideen, geschweige denn Visionen hat, was bleibt, außer Stiftungen?

Ein Sympathieträger, der es wagt, auch einmal – ansonsten lediglich für Dumme unangenehme, weil politisch irgendwie unpassend wirkende – Wahrheiten auszusprechen (im Gegensatz zu anderen, erst kürzlich modisch Verschlankten), wird angegiftet.

Gut, daß Gras so ausdauernd ist und gnädig vergessen läßt. Wer zeichnete einst für diese imbezile Fünf-DM-Geschichte verantwortlich? Jörg Gielsok, Berlin

Ja, ja, so ist das dann halt, wenn es auf die Wahlen zugeht und eine Partei ihre ehemals hehren Grundsätze (ein deutliches Nein zur Bundeswehr) für ein paar Wählerstimmen über Bord wirft. Der arme Jürgen, der den Grundsätzen treu geblieben. Jetzt von Politikerkollegen, die ihr Fähnchen wohl nicht nur aus Erkenntniszuwächsen, sondern vor allem auch für den Statuserhalt (bestimmt kein schlechtes Gehalt, das bei einem Wahlsieg der SPD und entsprechender Koalition bestimmt nicht weniger wird, oder Herr Poppe?) nach dem Wind hängen.

Schade nur, daß ein Parteiaustritt für Jürgen Trittin nicht ganz so einfach ist wie für mich damals, da er dann ja auch seinen Job hätte aufgeben müssen, während ich Taxifahrer bleiben durfte.

Absehbar bleibt auf jeden Fall, daß es den Grünen nicht anders gehen wird als den anderen etablierten Parteien. Mainstreampolitik zum Zwecke des Machterhalts führt doch nur dazu, aus mehreren Haufen Scheiße den kleinsten zu wählen. Frank Ritter, Bielefeld

Oh, was für eine fürchterliche Äußerung dem Parteivorsitzenden Trittin da anläßlich der Protestveranstaltung gegen das öffentliche Rekrutengelöbnis in Berlin über die Lippen gekommen ist. Einfach so, mir nix, dir nix, unsere integre Bundeswehr mit ihrer Neigung zur sympathischen Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit in die Tradition der Wehrmacht zu stellen. Ungeheuerlich! [...] Sind doch schließlich die Zeiten, wo man als Grüner noch bedenkenlos emotionsgeladen seine Abneigung gegenüber allem Militärischen herausskandieren durfte und trotzdem locker mit fünf Prozent Stimmen rechnen konnte, anscheinend vorbei.

Wie man es richtig macht, zeigt dagegen wieder einmal die selbsternannte Stimme der Vernunft der Grünen, statesman Joschka Fischer: Mit der rhetorisch-diplomatischen Aussagekraft eines (Möchtegern-)Außenministers teilt er „diese Kritik“ Trittins, „so wie sie vorgetragen wurde“, nicht. Richtig so, Herr Fischer, bloß kein unbedachter Spontispruch mehr, lieber ein sprachlich völlig korrekter Entschließungsantrag, der sich „gegen pathetisch überhöhte und militärverklärende“ Gelöbnisfeiern ausspricht. Und deshalb sind wir Grün-Wähler regelrecht erleichtert darüber, daß jedenfalls derart unklug provozierende Äußerungen à la Trittin aus dem Munde eines Joschka Fischer so kurz vor der Wahl definitiv nicht drohen. Beweis: Als Fischer drei Tage vor dem Gelöbnis in Berlin an fast selber Stelle, nämlich im Roten Rathaus, die konservative Gesellschaft für Auswärtige Politik mit seiner Vision von der Kontinuität deutscher Außenpolitik zu potentiellen Grün-Wählern mutieren ließ, wäre ich fast eingeschlafen! Hasso Suliak, Berlin

[...] In Wirklichkeit hat Trittin nur eine Wahrheit ausgesprochen, die nicht der herrschenden Wahrheit entsprach. Und das hat die herrschende Wahrheit nicht so gerne, sie möchte die Stimmung durchweg prägen und, wenn schon nicht in den Hirnen, so zumindest in den Schlagzeilen hocken. Und das tut sie ja auch. Wie auf Kommando hat...

Die Herren Pohl und Schulz im Bundestag haben, wie erwartet, ihre Distanzierungen abgegeben und, etwas überraschend schon, auch der Ex-Sponti Joschka Fischer, von dem ich zwar nichts mich Überzeugendes, doch zumindest den Verzicht auf die Abwatschung eines Parteifreundes vor dem Parlament im Angesicht der feixenden, vor Wahlkampflust schäumenden konservativen Rechten ('tschuldigung: Mitte!) erwartet hätte. Aber nein – und wo der Oberjoschka nicht schweigen konnte, da plappert sich nun im Gefolge die halbe Partei das Gewissen vor dem „Deutschen Volke und seiner Wehr“ wieder rein.

Wir wissen, daß die Grünen nichts mehr wert sind, ihre Auszeichnung, sie seien auf dem Wege zu einer „normalen Partei“, haben sie ohne Widerstand entgegengenommen und freuen sich noch darüber. Man kann also im Herbst wirklich wählen, was man will, es sind immer die Falschen. Frage ist nur, wie lange steckt so ein Nochgrüner mit ein bißchen Verstand wie Trittin die Solidarität seiner Parteifreunde weg, ohne wegzulaufen. ??? Ja. Klaus W. Kowohl,

Gummersbach

Die Fünf-DM-pro-Liter-Benzin-Entscheidung habe ich nachvollziehen und mittragen können, doch hat Herr Trittin leider gezeigt, daß seine Partei noch nicht „erwachsen“/wählbar ist, solange Leute wie er maßgeblichen Einfluß in der Partei ausüben. Jetzt werde ich doch noch anders wählen gehen! Volker Bühnemann, Pasewalk

[...] Die Grünen präsentieren sich als heuchlerischer Hühnerhaufen. Jürgen Trittin hat eine geschmacklose Rede gehalten, wird gesagt, vor allem von der Bundeswehr und von Volker Rühe. Was aber ist geschmackloser: Abhaltung öffentlicher Gelöbnisse an historisch eindeutig belegten Daten oder der Hinweis auf das geschichtsträchtige Datum? [...]

Er hätte klüger, differenzierter reden können und müssen. Aber: Auch die, die jetzt seinen Rücktritt fordern, könnten das tun: klüger und differenzierter reden. Trittin schade den Wahlchancen der Grünen, wird statt dessen behauptet. Was aber schadet mehr: eine polemische Rede oder das anschließende hysterische Geschrei aus den eigenen Reihen bis hin zu demütiger Distanzierung mitten im Bundestag? So wird die melodramatische Aufgeregtheit zum Eigentor.

Grüne werden nicht gewählt, um die Bundeswehr zu verteidigen. Sie streiten seit Jahren gegen die Militarisierung der Gesellschaft. Selbst wenn Trittin sich im Ton vergriffen haben sollte, hat er nichts Neues gesagt. [...] Michael Frost, Bremerhaven

[...] Rücktrittsforderungen gehören dahin, wo gewählte VolksvertreterInnen ihr übertragenes Mandat nicht verantwortungsvoll erfüllen, wo Umweltministerinnen zu Dienerinnen der Atomindustrie werden und ihre Aufsichtspflicht verletzen, anstatt die Sicherheitsinteressen der Menschen zu vertreten. Hier könnte sich die bündnisgrüne Partei als glaubwürdige Alternative zur herrschenden Politik profilieren.

Doch die Bündnisgrünen haben sich in ihrer Wahlhysterie offensichtlich für die Strategie entschieden, ein urgrünes Thema nach dem anderen vom Möchtegern-Regierungstisch zu fegen. Fragt sich nur, wer außer Gerhard Schröder sie dann noch in einer Bundesregierung sehen will. Daniel Kluge, Göttingen

Jürgen Trittin im WM-Fieber: Er hat ein Tor geschossen, genau in den linken Winkel, ein traumhafter Treffer. Er dreht jubelnd ab und springt zufrieden im Kreis umher. Seine SpielkameradInnen schauen sich dagegen etwas desorientiert an, denn: der Treffer wird dem Gegner zugeschrieben. Fußballdeutsch: Eigentor. Politikerdeutsch: Unzurechnungsfähigkeit. Und Eigentor. Nicht das erste für die Bündnisgrünen. Im Fußball landet man mit Eigentoren schnell auf der Ersatzbank. Torben Rosenbohm, Oldenburg

Hallo Rezzo, Gerd, Oswald, Uschi, Manuel, Gunda usw. Euch ist leider ein kleiner Fehler unterlaufen: Den schwarz-grünen Wahlkampf wollten wir erst in vier Jahren machen, diesmal ging's noch um die linke Alternative zur Verbesserung der SPD-Regierung. Nichts für ungut, und noch viel Spaß in Bonn wünscht Till Westermayer, Freiburg

[...] Gerd Poppe, Oswald Metzger und Werner Schulz müssen sich fragen lassen, ob sie aus den Turbulenzen im Anschluß an den Magdeburger Parteitag gar nichts gelernt haben. Vorschlag zur Güte: Warum nehmt ihr nicht euer unveräußerliches Menschenrecht auf Fernreisen wahr und erholt euch bis zum 27. September im Urlaub? Nur laßt uns endlich in Ruhe Wahlkampf machen!

Mit genervten Grüßen Tarik Tell,

Sprecher KV Rhein-Sieg und

Bundestagsdirektkandidat