Auch Täter brauchen Hilfe

■ Heute erster „Tag für Folteropfer“/ In Bremen leben rund 1.000 Opfer

Heute begeht die Welt erstmalig den „Tag der Unterstützung von Folteropfern“. Die UNO hat ihn ausgerufen. In 140 Staaten dieser Welt wird Schätzungen von amnesty international zufolge gefoltert. „In Bremen leben rund tausend schwer traumatisierte Folteropfer“, schätzt Hans Jochen Zenker, Vorstandsmitglied des Vereins und zugleich Leiter des Bremer Gesundheitsamtes. Er weiß: Nur die wenigsten dieser Menschen finden den Weg in die Findorffer Beratungseinrichtung, die vor rund zehn Jahren gegründet wurde. Mit zwei halben therapeutischen Kräften und einer Verwaltungsfachkraft ist sie heute die größte in Norddeutschland.

In Bremen hat „Refugio“ mittlerweile einen Namen. „Wenn es Probleme mit Ausländern gibt, egal was, werden wir oft angerufen“, seufzt Therapeutin Ingrid Koop. „Als wären wir für alles zuständig. Sind wir aber nicht“. Um Therapien durchzuführen, hat Refugio nur wenig Kapazitäten. „Wir vermitteln vor allem Beratung und Hilfe“, sagt Koop – und daß sie manchmal nicht mehr helfen kann. „Je schneller Folteropfer im Fluchtland Hilfe bekommen, desto größer sind ihre Heilungschancen“ – auch wenn sie sehr schwere Folter erlebt haben, sagt Koop und blickt neidisch nach Schweden, Norwegen oder Dänemark. Dort funktioniert ein Versorgungsnetz, in dem Gefolterte landesweit Rat finden. Anders in Deutschland. „Es kommt sogar häufiger vor, daß Klienten, die die schlimmsten Erfahrungen gemacht haben und bei uns in Behandlung sind, kein Asyl bekommen“. Oder daß sie abgelehnte Asylbewerber behandele, die an Folterfolgen so krank geworden sind, daß die Abschiebung ausgesetzt wurde. „Dann soll ich ran, damit sie doch abgeschoben werden können. Das ist paradox.“

Ebenso paradox finden MitarbeiterInnen der Einrichtung, daß viele Folteropfer aus Ländern stammen, zu denen Europa enge politische Beziehungen unterhält. Kurden und Türken stellen seit Jahren die größte Gruppe unter den Ratsuchenden. Im vergangenen Jahr kamen vn ihnen allein rund 60. „Das ist in allen anderen vergleichbaren Einrichtungen ähnlich“, nicken sie. „Gemessen an dem, was man politisch tun müsste, ist so ein Tag der Folteropfer wohl nur Augenwischerei“, sagt auch Vorstandsmitglied Zenker.

Die zweitgrößte Gruppe der Ratsuchenden bei Refugio stammt aus dem Iran. Aber das sei nicht unbedingt repräsentativ, heißt es; sie kämen oft wegen Hossein Faraschidi-Nik, dem iranischen Therapeuten im Team. Verständlich: Auf die sonst anwesenden Dolmetscherinnen kann bei einer muttersprachlichen Behandlung verzichtet werden. „Sonst sind wir immer zu dritt“, sagt Koop. Sie arbeitet, je nach Fall, mit 14 verschiedenen DolmetscherInnen zusammen, die in 14 Sprachen dieser Welt, darunter auch kurdisch und ewe, übersetzen, wenn die Verletzten und Geschundenen ihr Leben erzählen, das sie bis heute nicht losläßt und oft lähmt.

„Viele Menschen werden zu uns gebracht“, heißt es denn auch bei Refugio. „Da sagen Familienangehörige, so geht es mit Dir nicht weiter.“ Andere, die ihre seelische Verwundung verstecken wollten, werden durch Refugio manchmal vor der Einweisung in die Psychiatrie gerettet. Der aus ungeklärten Gründen ständig kranke Mann beispielsweise. „Im Krankenhaus sollte er eine Infusion bekommen. Aber als er die Schläuche sah, drehte er durch“, sagt Koop. Jahrelang habe er – wie viele Folteropfer – geschwiegen. „Viele schämen sich. Manche fühlen sich schuldig.“ Bei Refugio lernen die Menschen, die in der Folter zum Objekt gemacht wurden, „wieder Subjekt zu werden.“ Und auch, daß das, was ihnen wiederfuhr, krassestes Unrecht war. Dies zu begreifen, fällt scheinbar auch Nicht-Betroffenen bisweilen schwer.

„Folter löst Angst aus“, haben die TherapeutInnen beobachtet. In der Öffentlichkeit hören sie öfter, daß die Opfer „doch wohl auch selber schuld sind“. Damit werde die Einsicht abgewehrt, „daß hier Menschen die Täter sind – und daß das Böse menschlich ist.“ Bei Refugio weiß man, daß die Grenzen zwischen Gut und Böse fließend verlaufen. Unter den Patienten sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter, die Hilfe brauchen.

ede