The Concert of Paul and Linda

■ Hit or miss? Miss! Paul McCartneys „Liverpool-Oratorio“ erklang in der Glocke

Sir Paul McCartney ist seit einigen Jahren die korrekte Anrede des nun geadelten Ex-Pilzkopfes, und entsprechend klingt nun auch seine Musik. Kurz nach der Trennung der Beatles in den frühen 70ern schien McCartney mit den ersten Hits seiner Gruppe „Wings“ die Erfolgslinie weiterzuführen; damals wurde er von enthusiasmierten Musikkritikern als „Mozart unserer Tage“ bezeichnet. Aber mit den Jahren wurde klar, daß McCartney nur im kreativen Wettstreit mit John Lennon unsterbliche Popmusik schreiben konnte. Ohne den bösen Biß seines Kollegen war er zu nett und harmlos, und unter diesem Manko leidet auch sein erstes Orchesterwerk, das er zusammen mit dem Routinier Carl Davis komponiert und arrangiert hat und das am Mittwoch abend in der Bremer Glocke zu hören war.

Bei dieser Auftragsarbeit für das „Royal Liverpool Philharmonic Orchestra“ konnten die beiden aus dem Vollen schöpfen: Ein Orchester von Wagner-Kaliber, ein großer Chor, ein Kinderchor und vier klassische VokalistInnen – so dicht gedrängt standen und saßen die Musiker wohl selten in der Glocke. Der Brahms-Chor der Hochschule Bremen hatte zu seinem Semesterabschlußkonzert eingeladen, dazu sangen der Junge Chor Bremen und die SolistInnen Leonore von Falkenhausen, Ursula Eitinger, Tom Allen und Thomas Jesatko. Die Phiharmonia Hungarica spielte dazu. Abgesehen vom Solotrompeter des Orchesters, der des öfteren schmerzlich danebenblies, war die Aufführung grundsolide und stimmig, aber die Probleme des Konzerts lagen in der Konzeption.

Man kann gut verstehen, daß Popmusiker mal mit dem prächtigsten Klangkörper, den es gibt, herumspielen wollen. Das Resultat ist immer dann spannend, wenn man diese ganz naive Freude noch spürt. Bei Zappas „Yellow Shark“ ist das gelungen, während etwa Joe Jacksons Pseudo-Symphonien zu bemüht klingen. Auch McCartneys Werk war dann am schönsten, wenn man merkte, wie gern er mit den Special-Effects spielte. Das klang oft wie Filmmusik, und die Einflüsse von Leonard Bernstein und Benjamin Britten waren auch leicht zu erkennen.

„Mit Pauken und Trompeten“ erzählt McCartney in seinem Oratorium von seinem Leben in Liverpool. Er nennt seine Protagonisten zwar Shanty und Mary Dee, aber gemeint sind offensichtlich Paul und Linda. Man kann dieses Werk also als späte Antwort auf Lennons „The Ballad of John and Yoko“ sehen, und in einer kurzen Einführung erzählte der Leiter der Aufführung, Joshard Daus, daß Paul McCartney nach dem Tod seiner Frau sein Oratorium um einen entsprechenden Schlußteil erweitern will. Aber leider verallgemeinerte McCartney seine musikalische Biographie so radikal, daß nur ein ganz banaler Plot übrigblieb: Der Bub geht zur Schule, trifft seine Jugendliebe, die beiden heiraten, streiten sich, versöhnen sich, ein Kind kommt, hurra! Was für ein spannendes Musikstück hätte man allein schon aus der Episode machen können, in der die Beatles bei ihrer Ordensverleihung auf dem Klo des Buckingham-Palace einen Joint geraucht haben? Aber Paul erzählt lieber harmlos, nett und banal von einer Schulstunde in Spanisch (mit den passenden Klangklischees), einer Fahrt auf dem Doppeldeckerbus oder dem Büroleben (mit solchen gesungenen Textzeilen wie „Cancel my appointment at the Squash Club“ oder „Did Mr. Fisher send a fax to L.A.?“). Das Libretto mit solchen Gesängen wurde übrigens vom Publikum eifrig benutzt, und in einigen leisen Passagen war der spannendste akustische Effekt das kollektive Umblättern des Programmheftes.

McCartney hat sich selbst als „primitiven Höhlenmaler“ in der klassischen Musik bezeichnet und nahm so den strengen Kritikern von der E-Musik-Fraktion geschickt den Wind aus den Segeln. Aber er hat unvergeßliche Melodien geschrieben, und auf solchen Songs basiert im Grunde auch dieses Oratorium. Aber keine seiner musikalischen Ideen war wirklich neu und zwingend. Da war kein Hitsong in dem ganzen Stück. Über solch ein populistisches Urteil mögen die Feingeister die Nase rümpfen, aber bei einem McCartney heißt es nun einmal „Hit or miss“, und daher war das Konzert letztlich eine Enttäuschung. Wilfried Hippen