Mon Dieu Mondial
: „Das System ist krank!“

■ Beschluß der Fernsehgemeinschaft: Die WM 2002 braucht ein neues Regelwerk

Fußball ist ungerecht (vergl. Bayern-Duisburg, 16. Mai 1998). Und besonders ungerecht ist Fußball dann, wenn Ergebnisse auf höchst dubiose Weise zustandekommen, sei es durch eine Schwalbe oder den Hund Gottes. Schon oft ist deshalb gefordert worden, man sollte Schiedsrichterentscheidungen nach der Auswertung von Filmmaterial rückwirkend korrigieren dürfen. Das wäre natürlich nicht wünschenswert, denn Fußball muß unberechenbar bleiben.

Allerdings treibt es die Unberechenbarkeit manchmal zu weit, wie sich besonders in den letzten Tagen gezeigt hat. Nehmen wir zum Beispiel die Partie Brasilien-Norwegen: In meiner Fernsehgemeinschaft konnte sich allein Frau Geithe über den norwegischen Sieg freuen. Der Rest von uns war schockiert; allen voran der knapp sechsjährige Marokko-Fan Mustafa, dem wir nun vorsichtig erklären mußten, warum auch das 3:0 Marokko nicht mehr retten würde. „Weil der Elfmeter für Norwegen, der ja eigentlich gar kein Elfmeter war, sondern eine Sauerei...“ Der Kleine versteht die Welt nicht mehr.

Und nun auch noch Spanien! Mag Paraguays Abwehr auch noch so felsenfest und von mir aus auch zu Recht gerühmt sein – diese Mannschaft hatte es einfach zu leicht im Spiel gegen die B-Auswahl der listenplatzgesicherten Nigerianer. Und außerdem: Wer will eigentlich weiter zugucken, wie da so unnachahmlich schön verteidigt wird? Wir wollen Angriffe sehen! Wir wollen Tore sehen!

Als die spanischen Fußballer, bis zuletzt im Einsatz für die eigene Ehrenrettung, geschlagen und erschöpft vom Platz schlichen, hatten selbst die Abgebrühtesten unter uns einen Kloß im Hals. Mit 6:1 hatten sie die Ohrfeigengesichter aus Bulgarien abgewatscht und müssen trotzdem heim. Die Münchner Exilanten-WG brachte das Geschehen auf den Punkt: „Das System ist krank!“

Jawohl, so ist es, und man kann es – Das System ist krank! – gar nicht oft genug sagen. Da stimmt doch was nicht, wenn sich achtelfinalqualifizierte Mannschaften keine Sorgen mehr um ihr Fortkommen machen müssen und es ihnen deshalb egal sein kann, ob sie ein schwaches Spiel liefern, und sogar verlieren, während auf dem anderen Kanal tapfere Marokkaner darum kämpfen, es den Italienern zeigen zu dürfen – und wie gern hätten wir das gesehen.

Wir wollen nicht vergessen, daß Deutschland und Österreich uns diese Sache vor 16 Jahren eingebrockt haben, als die beiden Mannschaften in Gijón einen achtzigminütigen Nichtangriffspakt schlossen, um Algerien aus dem Turnier zu kicken. Die Einführung zeitgleicher Spiele war ein Versuch, Fußballgerechtigkeit herzustellen. Aber eben nur ein Versuch.

Abhilfe wird erst das soeben fertiggestellte, bahnbrechende Vorrundenregelwerk meiner Fernsehgemeinschaft schaffen. Mit diesem raffinierten System wird es bei der nächsten Weltmeisterschaft gleichermaßen zu permanent spannenden Spielen wie auch zu begrüßenswerten Unberechenbarkeiten kommen; Favoriten werden durch eine ausgeklügelte Punktvergabe auch im letzten Spiel der Vorrunde noch Einsatz und Torjäger zeigen müssen. Auch an die Schiedsrichter haben wir gedacht und einige Reformvorschläge für die Auswahl der Kartenzücker entwickelt.

Leider ist an dieser Stelle nicht mehr genug Platz, um das neue Vorrundenregelwerk ausreichend vorzustellen. Eine Kurzfassung würde der Sache nicht gerecht und könnte überdies zu Mißverständnissen führen. Im Namen der Fernsehgemeinschaft versichere ich aber, daß es uns alle, einschließlich der Spanier und der Marokkaner, sehr glücklich machen wird. Carola Rönneburg

Die Autorin ist taz-Wahrheit-Redakteurin und Frankreichspiel-Gastgeberin