Norwegens Justiz sucht nach einem Mossad-Rentner

■ Oslo beantragt Interpol-Haftbefehl gegen hohen Ex-Offizier des israelischen Geheimdienstes. Der soll 1973 die Ermordung eines unbeteiligten Marokkaners in Lillehammer befehligt haben

Stockholm (taz) – Vor 25 Jahren im norwegischen Provinzstädtchen Lillehammer: Der aus Marokko stammende Kellner Ahmed Bouchiki wird vor den Augen seiner hochschwangeren Ehefrau von Unbekannten ermordet. Das Attentat in der späteren Olympiastadt war als Rache für die Entführung israelischer Sportler durch ein palästinensisches Kommando in München ein Jahr zuvor gedacht. Die Mörder Bouchikis waren Agenten des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Das Attentat von Lillehammer bildete einen Teil des „Komité X“-Plans, mit dem der Mossad zwölf führende Mitglieder des palästinensischen „Schwarzen September“ planmäßig weltweit ermordete. Am Mittwoch hat nun Norwegens Generalstaatsanwalt Lasse Qvigstad über Interpol den Erlaß eines internationalen Haftbefehls gegen den damaligen Topagenten Michael Harari beantragt. Der mittlerweile 71jährige Rentner, der in einem Vorort von Tel Aviv lebt, wird beschuldigt, wenn schon nicht selbst geschossen, so doch höchstpersönlich die Führung des Lillehammer-Attentats innegehabt zu haben. Seit November vergangenen Jahres hatte die norwegische Anklagebehörde versucht, Israels Justiz zu veranlassen, über den Weg der Rechtshilfe Harari zu den Beschuldigungen zu verhören, was die israelische Regierung unter Hinweis auf „Sicherheitsinteressen“ aber strikt ablehnte.

Dabei hätte Norwegen vermutlich nichts lieber getan, als die alten Ermittlungen, die schnell nach dem Anschlag und der Verhaftung von fünf Personen eingestellt worden waren, ruhen zu lassen. Oslo fordert jetzt kurz vor dem Ablauf der 25jährigen Verjährungsfrist strafrechtliche Verfolgung und möchte die zurückliegenden 24 Jahre schnell vergessen machen. Daß der Kopf der Attentats- Gruppe der Mossad-Agent Harari persönlich war, wußte der norwegische Geheimdienst nämlich schon unmittelbar nach dem Attentat, wenn nicht schon vorher. Beweise über eine traditionell enge Zusammenarbeit der beiden Geheimdienste – auch nach dem Mord an Bouchiki – hat die norwegische „Lundkommission“ gesammelt.

Doch Polizei und Justiz ließen Harari entkommen – ebenso wie zehn der fünfzehn Attentäter. Fünf Mossad-Leuten wurde der Prozeß gemacht, allerdings nach einer durch israelischen Druck ausgelösten Intervention der norwegischen Regierung hinter verschlossenen Türen. Die wegen Beihilfe zum Mord zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilten Israelis wurden schnell nach Hause abgeschoben.

Vor zwei Jahren versuchte sich Israels Regierung angesichts eines drohenden öffentlichen Schadensersatzprozesses der Bouchiki-Angehörigen freizukaufen. Ihre vermeintliche staatliche Mordlizenz ließ sie sich umgerechnet rund 600.000 Mark und eine offizielle Entschuldigung kosten. Die Mossad-Agenten hatten mit dem Kellner Bouchiki nämlich eine völlig unbeteiligte Person ermordet. Umbringen wollte man eigentlich den „roten Prinzen“ Ali Hassan Salameh, einen führenden Kopf des „Schwarzen September“. Für Harari hatte diese Fehlleistung keine nennenswerten Folgen: Er selbst durfte eine interne Untersuchungskommission leiten und mit dem Fazit enden lassen, „nennenswerte Fehler“ seien nicht gemacht worden. Salameh wurde 1979 durch eine vom Mossad installierte Autobombe tatsächlich noch umgebracht, mit Hararis reger Beteiligung. Israel wird jetzt kaum seine schützende Hand von diesem hochrangigen Geheimnisträger nehmen. Reinhard Wolff