Eingeschlossen im Kessel von Junik

Die Stadt Junik im Westen des Kosovo, ist seit zwei Wochen von serbischen Soldaten belagert. Noch hoffen die Albaner auf Hilfe. Vom US-Gesandten Richard Holbrooke, der den Ort am Mittwoch besuchte, kam sie nicht  ■ Aus Junik Erich Rathfelder

Heiß brennt die Sonne in der Ebene des westlichen Kosovo. Der letzte Schnee auf dem nahen Gebirge ist geschmolzen. Dort verläuft die Grenze zu Albanien. Serbische Soldaten schwitzen in ihren Unterständen, aus denen Maschinengewehre ragen. Von hier aus belagern sie die in einer Senke liegende Stadt Junik. Hierher reiste am Mittwoch auch der US-Gesandte Richard Holbrooke, um sich in Gesprächen, unter anderem mit Vertretern der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) über die Situation zu informieren.

Die serbischen Einheiten haben die Aufgabe, das gesamte Gebiet um Junik und entlang der Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen, um den UCK-Kämpfern die Nachschubwege nach Albanien abzuschneiden. Deshalb wurde Ende Mai auch die sieben Kilometer entfernte Stadt Decani zerstört und deren Bewohner vertrieben. Die Höhenzüge wurden von Spezialeinheiten vermint.

An einem sicheren Platz ist eine serbische Kontrollstelle eingerichtet. „Dort in den Wäldern und unten in der Stadt“, sagt ein serbischer Soldat, „sitzen die Terroristen.“ Die Soldaten täten hier ihren Dienst nicht gerade begeistert. „Du kannst dir vorstellen, wie es ist, wenn du tagelang in Schützengräben liegst.“ Die Fronten seien seit zwei Wochen festgefahren.

Endlich wird das Zeichen zur Weiterfahrt gegeben. Die Straße ist übersät von Steinen, Granatsplittern, zerschossenen Fahrzeugen. Nach einigen Kurven ist das Ziel erreicht. Einige Gestalten mit Kalschnikows winken, an einer Mauer stehenzubleiben. Es sind die kosovo-albanischen Verteidiger der Stadt. Plötzlich wird geschossen, Grananteinschläge sind zu hören. Eilig suchen die Menschen auf der Straße Schutz in einem der umliegenden Häuser. Die Kämpfer der UCK ziehen sich in ihre Unterstände zurück und erwidern das Feuer.

Der 35jährige Gani Shehu, hiesiger Vorsitzender der Demokratischen Liga des Kosovo in der einstmls 12.000 Einwohner zählenden Stadt, hofft darauf, daß die Nato doch noch eingreifen und Verhandlungen erzwingen wird. „Das Schießen muß beendet werden. 1.500 Zivilisten sind noch hier.“ Es gebe kaum noch etwas zu essen. „Nur Wasser haben wir genug.“ In den Wäldern in den Bergen befänden sich noch rund 600 Flüchtlinge, die nach Albanien wollten. Doch dorthin könnten sie nicht, zurück in die eingeschlossenen Stadt aber auch nicht.

Davon hat Shehu auch Holbrooke berichtet. Und auch davon, daß Anfang Juni Tausende von Flüchtlingen durch die Stadt gezogen sind und sogar zwei montenegrinische Deserteure von hier aus ihren Weg nach Albanien gefunden haben, noch kurz bevor die Stadt eingeschlossen worden ist.

Der energische und gedrungene Kommandeur Cum Haxhiu erzählt davon, daß die Artillerieangriffe äußerst gefährlich seien. „Sie schießen zu jeder Tageszeit. Fünf Menschen wurden bereits getötet.“ Er spricht aber auch über Politik, über die Unterdrückung der Kosovo-Albaner und darüber, daß der Kosovo von der serbischen Besatzung befreit werden müsse.

Holbrooke habe bei seinem Besuch, so sagen einige Begleiter, geantwortet, die Albaner hätten das Recht, die Stadt zu verteidigen, vor allem nachdem jugoslawische Streitkräfte die Menschen von Decani vertrieben hätten und die Stadt zerstört worden sei. Sie sollten jedoch nicht auf der Forderung nach Unabhängigkeit des Kosovo beharren. Die Serben sollten sich zurückziehen und die Bewohner zurückkommen. Die Straßen müßten wieder für alle freigegeben werden. Eine Aktion der Nato zum Schutze der Bevölkerung von Junik habe er nicht versprochen. Das hatten die Verteidiger der Stadt eigentlich gehofft. Vergeblich. Jetzt können sie sich nur noch auf die eigene Kraft verlassen.

Und vielleicht gibt es ja wirklich noch Möglichkeiten, die Stadt zu verteidigen. Obwohl Junik von serbischen Streitkräften abgeriegelt ist, sind die Zufahrtswege in die Region auch für die serbischen Soldaten unsicher geworden. Die Straßen in den Norden, Richtung Peć, und ins südlich gelegene Prizren müssen von einem Großaufgebot von Polizisten gesichert werden. Würden sie von albanischen Kämpfern unterbrochen, säßen die Serben in der Falle. Wie die Albaner jetzt dort unten in Junik.