„Wir haben uns die Niederlage handhabbar gemacht“

■ Karl-Heinz Dellwo, ehemaliges RAF-Mitglied, im Gespräch

Jetzt muß geredet werden“, sagte taz-Redakteurin Petra Groll, als die RAF im April ihre Auflösung erklärte. Seit mehr als einem Jahr hatte Groll, die gemeinsam mit Jürgen Gottschlich voriges Jahr das RAF-Journal der taz herausgegeben hatte, das Gespräch mit ehemaligen RAF-Mitgliedern gesucht. Ein Interview mit Schleyer-Entführer Stefan Wisniewski erschien im Herbst 1997, ein Gruppengespräch mit ehemaligen RAF- Mitgliedern, wenige Monate später, scheiterte. Die Zeit war noch nicht reif. Geblieben ist ein steter Kontakt zu Karl-Heinz Dellwo, der 1975 zu den Besetzern der deutschen Botschaft in Stockholm zählte. Unserem Interview mit ihm gingen viele Gespräche voraus. Als müsse die Brücke, über die es nun zu gehen gilt, erst sorgsam geprüft werden. Denn das Reden über die RAF ist immer noch heikel. Für beide Seiten. Wer sich mit der Geschichte des Deutschen Herbstes auseinandersetzt, kommt um die Frage „Wie hältst du's mit der Gewalt?“ nicht herum.

Für viele ZeitgenossInnen der 68er-Generation ist das Thema RAF auch das Thema der eigenen Verstrickung. Hatten damals nicht alle nach radikalen, notfalls gewalttätigen Lösungen gerufen? Andererseits: Wäre die Studentenrevolte wirkungsvoller gewesen, hätte es nicht die Kaufhausbrandstifter gegeben?

Auch zwischen Petra Groll und Karl-Heinz Dellwo gibt es dieses „ihr“ und „wir“ der sich gegenüberstehenden Lager. Die Atmosphäre bleibt gespannt, Dellwos Sorge, funktionalisiert zu werden, groß. Aber die Journalistin Groll ist an Distanzierungsrethorik nicht interessiert. „Diese Auseinandersetzung zwischen den 68ern und der RAF kann nicht mehr nachgeholt werden“, meint sie. „Was geschehen ist, ist geschehen. Wichtig ist jetzt zu klären: Was ist eigentlich geschehen?“ Denn seit dem Herbst 1977 haben sich vor allem die Mythen als unausrottbar erwiesen. Daß die RAF ein bedrohlicher Apparat sei, der nur durch einen entsprechenden Apparat zu bekämpfen sei, war die Legende des Staates. Auf der anderen Seite blieb die „Stammheim-Frage“ ein wichtiger Faktor zur Rekrutierung von RAF-Sympathisanten.

Karl-Heinz Dellwo spricht nun aus, was bisher hinter vorgehaltener Hand gesagt wurde: Auch die RAF-Gefangenen waren von der Mordthese nicht überzeugt. Eine Debatte zwischen Inhaftierten und Illegalen hat es seither praktisch nicht gegeben. Jede RAF-Generation handelte in eigenem Namen und führte den „bewaffneten Kampf“ noch mehr als zwei Jahrzehnte weiter. Dabei war schon Ende der Siebziger klar, so Dellwo: „Diese Sache ist gescheitert.“

Fotodokumente aus dieser Zeit – Innenansichten gleich – wurden von Astrid Proll zusammengestellt. Sie stammen aus ihrem Buch „Hans und Grete“, das im August erscheint. Klaudia Brunst