Karl B.: Schwul und verfolgt

■ „Sie sind ja schon wieder hier!“ Ein ehemaliger Rosa-Winkel-Häftling berichtet

Karl B. ist wohl der letzte Mensch in Bremen, der von der Verfolgung Homosexueller durch die Nazis berichten kann. Die Konzentrationslager in Neuengamme, Mauthausen, Auschwitz – Karl B. hat überlebt. Zurückgezogen lebt er inzwischen in Bremerhaven. Eigentlich wollte er keine Interviews mehr geben. Für Jörg Hutter, Mitarbeiter bei den SchwulLesbischenStudien an der Uni Bremen und prominenter Schwulenpolitiker der Grünen machte er eine Ausnahme. Die zwei lernten sich Ende der 80er Jahre kennen und sind befreundet.

Jörg Hutter: Lieber Karl, zunächst meinen Dank dafür, daß Du mit Deinen 86 Jahren nochmals bereit bist, Rede und Antwort zu stehen. Mir ist bewußt, daß Dich die Erinnerungen noch heute belasten und deshalb schätze ich Dein Entgegenkommen sehr. Du bist 1939 verhaftet worden. Was war damals passiert?

Karl B.: Mich hat ein ,guter' Freund bei der Kriminalpolizei denunziert, und so bekam ich eines Tages eine Vorladung zur Polizei. Ich wurde gleich auf der Wache verhaftet und ins Bremer Polizeihaus transportiert. Dort hat man mich verhört. Der Beamte hat mich mit einer geladenen Pistole bedroht. Da habe ich keine andere Möglichkeit gesehen, als die Beschuldigungen zuzugeben. Wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht, so hieß das damals, wurde ich von einem Bremer Gericht zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, die ich in Celle verbüßt habe.

Wieso kamst Du denn danach noch in ein Konzentrationslager?

Warum ich nach Verbüßung meiner Strafe nicht freigelassen wurde, weiß ich nicht. Wahrscheinlich galten wir Homosexuellen alle als gefährlich. Ich bin in das KZ Neuengamme eingeliefert worden. Dort mußte ich anfangs den Rosa Winkel tragen. Ich hatte dann aber unheimliches Glück. Da ich als Jugendlicher eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert hatte, wurde ich der Krankenabteilung zugewiesen. Das war ein großer Vorteil. Ich brauchte nicht zu den täglichen Arbeitseinsätzen auszurücken und bekam auch genügend Essen. Mir war es dank der Hilfe von Kameraden dann möglich, meinen rosa Winkel gegen einen roten auszutauschen.

Die meiste Zeit warst Du aber im Stammlager von Auschwitz interniert. Warum?

Die Lagerleitung von Neuengamme hat die russischen Kriegsgefangenen aushungern lassen. Das wollten wir verhindern. Wir haben dann versucht, Essenrationen in das Russenlager zu schmuggeln. Als das aufflog, hieß es ,Straftransport nach Auschwitz'. Ober-sturmbannführer Bachmeier verabschiedete uns mit den Worten: „Ihr seht die Freiheit nie wieder!“ Mit vier weiteren Kameraden wurde ich am 11. Juni 1943 nach Auschwitz deportiert.

Wie konntest Du Auschwitz überleben?

Wir sind gleich bei der Ankunft von der Lagerprominenz, das war die Lagerleitung der Häftlinge, ins Krankenrevier abgestellt worden. Damit waren wir vor den gefährlichen Arbeitseinsätzen sicher. Ich habe es später bis zum Blockältesten von Block 3 geschafft. Diese privilegierte Stellung hat aber nicht vor den gefürchteten Appellen geschützt. Besonders schlimm war es immer, wenn Häftlingen die Flucht gelungen war oder Kameraden hingerichtet werden sollten. Dann mußten wir oft stundenlang – und zwar bei jedem Wetter – bewegungslos in Reih' und Glied stehen. Viele sind bei diesen Appellen vor Entkräftung zusammengebrochen und gestorben.

Gab es auch gute Seiten?

Ja, die gab es. Ich habe zwei jüngere polnische Freunde gehabt, die auch zu mir auf die Stube durften. Die SS hat dann aber versucht, diese Pipelei – wie es damals hieß – zu unterbinden. Da wurde eigens ein Bordell eingerichtet, das wir alle besuchen mußten. Ich habe mich mit der Dirne aber nur unterhalten. Passiert ist da nichts.

Im Sommer 1989, bei einer Fahrt nach Polen, fand ich im Archiv der Gedenkstätte Auschwitz die Todesdaten meiner Freunde. Es hat mich sehr erschüttert, daß beide Auschwitz nicht überlebt haben. Juden und Polen sind nämlich im Laufe des Jahres 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht worden. Ich habe das nicht verhindern können. Ich konnte Ihnen nicht helfen. Die Gewißheit über ihren Tod hat mich so stark belastet, daß ich die Reise abgebrochen habe.

Dein weiterer Weg war dann eine wahre Odyssee.

Ja, weil ich der Propaganda geglaubt habe. Die SS-Wachmannschaften erklärten uns kurz vor der Befreiung des Lagers, daß die Russen uns alle umbringen würden. Ich bin dann lieber auf Transport gegangen, zusammengepfercht in offenen Güterwaggons. Zuerst ging es nach Mauthausen, später ins Kloster Melk in der Wachau. Dann sind wir auf Kähnen nach Ebensee im Salzkammergut transportiert worden. Wir hatten ständig Angst, daß man uns kurz vor Kriegsende noch umbringt. Es wäre ja sehr leicht gewesen, uns im Fluß ersaufen zu lassen. Am 8. Mai 1945 bin ich dann aber befreit worden. Das hätte ich beinahe nicht mehr erlebt. Ich war an Ruhr erkrankt und fast schon tot. Ein französischer Arzt hat mich aus einem Berg von Leichen gezogen und wieder hochgepäppelt.

Und dann?

Dann wurde ich 1947 erneut verurteilt. Von demselben Richter. Rabien hieß der Kerl. Er empfing mich im Gericht mit den Worten 'Sie sind ja schon wieder hier!' Er hat mich dann zur Höchststrafe verurteilt – nach dem selben Gesetz wie 1939. Mein Verteidiger hatte noch beantragt, die Haftstrafe um die Zeit meiner KZ-Haft zu kürzen. Selbst das wurde abgelehnt. Es hieß fünf Jahre Zuchthaus. Die habe ich ganz abgesessen. Ich wollte keine Gnade – weder von diesem Staat, noch von dieser Justiz.

Das war dann aber immer noch nicht alles.

Nein, denn jetzt war ich ja richtig vorbestraft. Ich hab' dann zehn Jahre lang keine Arbeit mehr bekommen. Auf dem Arbeitsamt hieß es nur: 'Für Sie haben wir nichts, Herr B.' Ich habe erst in den 60er Jahren eine Anstellung gefunden. Später dann hat man mir die Haftzeit und die Arbeitslosigkeit auch noch von meinem Rentenanspruch abgezogen. Meine Klage vor dem Sozialgericht wurde abgeschmettert, weil der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes ausgesagt hatte, daß ich mich nie um Vermittlung bemüht hätte. Meine Rente lag unter Sozialhilfesatz.

Ähnlich erfolglos waren ja auch Deine Versuche, die KZ-Haft entschädigt zu bekommen.

Ja, alle meine Anträge sind abgelehnt worden. Grund war meine Vorstrafe. Es hieß immer, das hätte ich mir selbst zuzuschreiben. Erst als 1989 in Bremen der Härtefonds eingerichtet wurde, bekam ich eine Chance. Dank Deiner und der Hilfe des Rat und Tat Zentrums erhalte ich heute monatlich 500 DM dazu.

Gäbe es nach all diesen schlimmen Erfahrungen und den jüngsten Wahlerfolgen der rechtsextremen DVU einen Rat, den Du Schwulen und Lesben mit auf den Lebensweg geben willst?

Nein, eigentlich nicht. Vielleicht sollten sie aber wachsam sein, da die Entwicklung zum Besseren auch umkehrbar ist.