Wand und Boden
: Fußball? Ein komplexes System

■ Kunst in Berlin jetzt: Raymond Cuijpers, Christian Jankowski, Non-Painters-Painting

Nachdem die Deutschen im Achtelfinale der WM sind, gewinnt Raymond Cuijpers Ausstellung „Weltmeister“ noch an Charme. Der 25jährige Künstler hat nicht nur an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam studiert, sondern er war auch auf dem Weg, Profifußballer zu werden. Nach einer Verletzung blieb ihm die Beschäftigung mit dem Phänomen Fußball. Eine große Wandzeichnung, mit blauen und roten Linien, die vage an wissenschaftliche Verlaufskurven erinnern, aber auch an eine neue Art expressiver Abstraktion, fällt in der galerie paula böttcher als erstes auf. Das Diagramm bezieht sich auf das Match Brasilien – Marokko, und es zeigt, wie der Ball von Ronaldo gespielt bzw. Ronaldo zugespielt wurde. Die blauen Linien kennzeichnen die erste, die roten die zweite Halbzeit. Ein anderes Schaubild heißt „Was denkst du, wenn du ein Tor machst“ und erinnert an die grafische Ableitung, die einstmals der Direktor des Museums of Modern Art, Alfred H. Barr, vornahm, um eine Genealogie der abstrakten Kunst zu konstruieren. Cuijpers weiß nicht nur die Linienverläufe des Balles, der im Spiel ist, nachzuzeichnen, er weiß auch die Verbindungen der Kunst, die im Spiel ist, aufzudecken und bringt die möglichen Diagramme beider Systeme zur Deckung. Dabei hilft ihm nicht zuletzt, daß Fußball ein ausgesprochen komplexes System ist. Nicht nur auf dem Spiel-, sondern auch in dessen Umfeld. Angefangen bei der Arena-Architektur, der er das hölzerne Modell eines „Future Stadium“ widmet, das ausschließlich aus VIP-Lounges besteht, bis hin zum Kult der Fans um Clubs und Spieler sowie zu den Reaktionen der Sportartikelindustrie darauf. Seine sogenannten Navigation Images finden sich auch im Internet unter www.2code.net/cuijpers/football .html. Hier werden die abstrahierenden Momente seiner Arbeit am Fußball deutlicher als in der Galerieausstellung, die jedoch offenbart, wie mühelos und elegant Cuijpers seine Begriffsarbeit zu visualisieren vermag.

Bis 1.8., Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 12–17 Uhr, Kleine Hamburger Straße 15

Die Frau ist in Mailand, der Mann in Stockholm, wo er eine Ausstellung vorbereitet. Christian Jankowski, der Mann, und Una, die Frau, telefonieren nicht, wie man es von einem frisch verliebten Paar erwarten könnte. Sie „chatten“ im Netz. Sieben Tage lang quer durch Europa. Jankowski nutzt ihr Netzgeflüster (nachzulesen unter www.artnode.se/ physical/digital/) als Material für seine Ausstellung. Junge Stockholmer spielen die Dialoge nach, der Künstler nimmt die Szenen per Videokamera auf und stellt sie wiederum ins Netz. Dort findet er auch die Musik für sein Video und Leute, die ihm die Dinge liefern, die er braucht, um im realen, physischen Raum von art node eine Wohnung nachzubauen, in der er Una empfangen kann, wenn sie schließlich von Mailand nach Stockholm kommt. Wenn nun „Let's get physical/digital“ bei Klosterfelde erneut installiert ist, scheint die Sache zunächst nicht mehr so komplex wie ursprünglich angelegt. Die verschiedenen Zeitebenen, in denen die Installation mit ihren fiktiven, simulierten und realen Räumen, Szenen und Gesprächen aufgebaut wurde, sind nur noch Vergangenheit. Dennoch bleibt deutlich, wie trickreich digitaler und physischer Raum in ein Zusammenspiel gebracht werden können, hat der Künstler nur das richtige, intelligente Programm dafür. Und da das Netz so wenig verschwindet wie die möglichen Ausstellungsräume, stehen auch dort weiterhin die Beobachter und die Beobachter der Beobachter parat: Die Sache geht weiter. Was haben persönliche Gefühlsduseleien mit Kunst zu tun? fragt da der Herr Schneebeli unter http://blitzrevue.thing.at/blitz review/b-430.html. Das allerdings könnte man schon in Hinblick auf die Kunst der Renaissance fragen.

Bis Ende Juli, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstraße 160

Was passiert, wenn Videokünstler, Performance-Künstler und all die anderen Künstler, die üblicherweise mit dem Malen von Bildern nichts am Hut haben, ein „Painters Start-Kit“ überreicht bekommen? Zusammen mit der Aufforderung, nun doch mal in die Praxis des Malens einzusteigen? Diese Frage war die Leitidee, die Ketil Nergaards Kuratorentätigkeit in der Galerie BERLINTOKYO bewegte. Immerhin 44 Künstler ließen sich auf das Experiment ein – und siehe da, es passierte das Erwartbare: „Non- Painters-Painting“ erweist sich als eine Art Copy-Kill der letzten gängigen Möglichkeiten von Malerei. Freilich versuchen die Künstler auch an Charakteristika ihrer Installations-, Video- und Performancearbeiten anzuschließen. Der Berliner Elfenforscher Ogar Grafe etwa zeigt, wie es aussieht, wenn die Duftelfen die Menschen mit Hilfe ihrer betörenden Gerüche zum Tanzen bringen. Wenn man hingegen nicht davon ausgeht, daß Douglas Gordons Videos einfach vergrößerte und ein wenig aufgemöbelte Notizzettel sind, ist es nicht so leicht zu sagen, wie nahe er an seiner Kunst dran ist mit seinem weißen Bild, auf dem hingepinselt „sorry. Late again“ steht. Diese Unsicherheit gilt für die Mehrzahl der Künstler. Einfach, weil man ihre anderen Arbeiten nicht unbedingt kennen kann. Bei Emilio López-Menchero, der als Gast im Bethanien noch bis zum 28. Juni dort ausstellt, läßt sich die Sache überprüfen. Sein Gemälde zeigt ein Monument: einen schwarzen Legostein.

Bis 4.7., Di. 14–21 Uhr, Do. und Sa. 14 Uhr bis open end, Rosenthaler Straße 38 Brigitte Werneburg