Lauch stoppt den Klau

Über 27.000 Fahrräder wurden 1997 als gestohlen gemeldet. Nur 1.511 Tatverdächtige konnten ermittelt werden  ■ Von Holger Wicht

Wer in Berlin mit dem Fahrrad unterwegs ist, hat es schwer. Nicht nur, daß die tägliche Kamikazefahrt auf Bus- und Taxispuren so manchem den kalten Schweiß der Angst auf die Stirn treten läßt – den zeitgenössischen Biker bringt zudem eine erkleckliche Anzahl Schlösser ins Schwitzen, deren Gewicht das des geliebten Gefährts locker übersteigt. Max Goldt hat daher einst empfohlen, bei der Neuanschaffung eines Rades ein möglichst unattraktives Modell zu wählen: „Dem Fahrradfritzen sagte ich: ,Ich hätte gern ein unauffälliges, langweiliges Rad mit möglichst wenig Gängen.‘“ Der Kolumnist war erfolgreich: „Nun bin ich Besitzer eines Rades, das man wohl drei Monate in die unterentwickelteste Region von China stellen und von Scheinwerfern beleuchten lassen müßte, bis ein Dieb sich seiner erbarmt.“

Die chinesischen Diebstahlstatistiken lagen bis Redaktionsschluß noch nicht vor. In Berlin hingegen wurden im letzten Jahr 27.272 Fahrräder als gestohlen gemeldet, gegenüber 1996 bedeutet das einen Anstieg von 1,2 Prozent, nachdem zwischen 1992 und 1996 die Zahl der angezeigten Delikte um ein Viertel zurückgegangen war. Der Beginn der warmen Jahreszeit läßt in diesem wie in jedem Jahr die Anzahl geklauter Räder enorm ansteigen. Mit 2.486 Fällen sind satte 48 Prozent Anstieg im Mai 1998 gegenüber dem Vormonat zu beklagen. Zu addieren ist stets eine hohe Dunkelziffer, denn die geringen Chancen auf Aufklärung lassen viele Opfer von einer Anzeige absehen, wenn sie die polizeiliche Verlustbestätigung nicht für ihre Versicherung benötigen. Immerhin: 1.511 Tatverdächtige konnte die Berliner Polizei im Jahr 1997 ermitteln, so daß etwa fünfeinhalb Prozent der Fälle als gelöst gelten. Gegenüber dem Vorjahr hat sich damit die Aufklärungsquote um 12,6 Prozent erhöht. Für Benno Koch, Sprecher des ADFC, liegt sie allerdings noch immer viel zu niedrig, etwas mehr Engagement seitens der Polizei hielte er für angebracht: „Wenn man den Beamten auf der Straße anspricht, sagt der meistens, bei Fahrraddiebstählen könne man eh nichts machen.“ Mittels Codierungen und entsprechenden Kontrollen ließen sich aber ähnliche Erfolge erzielen wie im Kampf gegen Pkw-Diebstähle. Zahlreiche bundesdeutsche Großtädte beweisen, daß Aufklärungsquoten von mehr als 10 und sogar 20 Prozent möglich sind. Spitzenreiter war 1996 Aachen, wo 34 Prozent der Täter ermittelt werden konnten.

Berlin nimmt im Bundesdurchschnitt keine besondere Stellung ein. Bei der Zahl der gemeldeten Diebstähle in Relation zur Einwohnerzahl führt seit Jahren unangefochten Münster in Westfalen mit mehr als 2.500 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr. In Berlin liegt diese Zahl in etwa bei 800. Bundesweit sind im vergangenen Jahr nach der Statistik des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden 445.574 Fahrräder auf illegale Weise abhanden gekommen.

1.453 Männer und Jungen wurden im vergangenen Jahr in Berlin als Schloßknacker dingfest gemacht, nur 58 Frauen und Mädchen ließen sich erwischen. Erschreckend: Obwohl es sich um ein brutales Verbrechen handelt, sind die Täter überwiegend junge Menschen – nur 566 der gefaßten Täter waren Erwachsene. Unter den jungen Dieben stellen die Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 mit 506 Fällen die größte Gruppe. Außerdem vergriffen sich 196 Kinder (unter 14 Jahren) und 243 Heranwachsende (bis 21) am Zweirad ihres Nächsten.

Während sich Profis und Liebhaber hochwertigen Equipments an den teureren Bikes zu schaffen machen, greift sich der Gelegenheitsdieb, der das Taxigeld versoffen hat, für den Heimweg eher ein klappriges und dementsprechend schlecht gesichertes Gerät. Den ultimativen Diebstahlschutz gibt es nach wie vor nicht. Neben teuren Schlössern und Codierung kann man es allerdings mit einem weiteren unkonventionellen Tip Max Goldts versuchen, nach dem es am besten ist, „ein Fahrrad zu kaufen, an dessen Lenker ein Einkaufsbeutel mit herausragenden Lauchstangen hängt. Das macht jedes Rad unsportlich und unattraktiv; Diebe halten sich die Hand vor Augen, zucken zurück.“