Stille Tage mit Berti
: Ziege rein, Ziege raus

■ Erfolgstrainer Vogts erklärt die Durchrüttelung des Teams zum Prinzip

Mexiko. Hm. Natürlich ein starker Gegner, ist ja eh klar und stimmt auch. Dennoch sieht es jetzt so aus, als glaube Berti Vogts, das Schlimmste schon überstanden zu haben. Diese Gemütsverfassung drückt sich nicht allein in der Rückumbenennung dieser Kolumne aus (siehe oben), sondern auch im Verhalten des DFB-Trainers. Wo er eben noch in der Aufregung sogar freundlich gesonnene Kollegen abpulitzerte, lächelt er nun („nicht so gemeint“). Um genau zu sein: Er strahlt wie eigentlich nur einmal während der Tage an der Côte d'Azur – als Helmut Kohl eigens eingeflogen war, um ihm das Vertrauen der Nation zu übermitteln.

Eigentlich hat Vogts, das muß man hier vielleicht einmal sagen, allen Grund zu strahlen. Er ist ohne jeden Zweifel ein echter Erfolgstrainer, das hat er mit Gruppensieg und Qualifikation für das montägliche Achtelfinale bewiesen. Wem das aber nicht recht einleuchten mag, der kann das eingeübte deutsche Anspruchsdenken einmal in Relation setzen zur tatsächlichen Rest-Qualität des aktuellen Teams. Na? Also.

Dennoch gibt es Skeptiker, denen sein System der permanenten Durchrüttelung des Kaders nicht einleuchtet. Bis zur nächsten Überraschung sind als Fixspieler übrig: Köpke (Torhüter mit Fehlerbonus), Wörns und Kohler (bisher ungeprüfte Manndecker), Bierhoff (beeindruckender Torgarant), Klinsmann (beeindruckender Kapitän). Beim Rest der Schafherde heißt es: Ziege rein, Ziege raus.

Ist Vogts eine Art Arrigo Sacchi geworden, der seine Profis je nach Grashalmlänge oder Bierbauchvolumen des gegnerischen Platzwartes benutzt oder eben nicht? Oder weiß Vogts nicht, was er will? Hamann hat er gegen den Iran wie schon gegen die USA eingewechselt, um eine „bessere Ordnung“ herzustellen. Gegen Jugoslawien, das sagt Vogts selbst und grinst dabei auch noch, „war es umgekehrt“. Da hat er ihn zum selben Zweck ausgewechselt.

Jeremies hat er zum Schlüsselspieler erklärt – und nun gar nicht mittun lassen. Mal sagt er, er brauche die Kraft und das Laufvermögen der 24jährigen, dann die Erfahrung und ordnende Hand von Helmer. Da gibt es natürlich Leute, die jetzt sagen, dies sei in höchstem Maße inkonsequent und ziellos. Man kann aber auch einfach sagen, das sei Fußball. Oder: Ein Mann, der sieht, daß sein Schiff sinken wird, versucht das jeweils neue Loch zu stopfen, damit sich immerhin der Untergang verzögere?

Das Ganze hat ja auch was Gutes: Zumindest im personellen Bereich kann alles passieren. Unter den Umständen erklärt sich selbst Kapitän Klinsmann für überfragt, was eine aus dem Iran-Spiel gewachsene künftige WM-Formation betrifft. „Fragt den Berti“, sagte Klinsmann. Das tat man natürlich. Vogts' Antwort: „Abwarten, wer im Mexiko-Spiel aufläuft.“ Lehmann als dritte Spitze? Eine Begründung fände sich leicht: Der Torhüter ist groß und kopfballstark.

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Es wird keinen wirklich überraschen, zu erfahren, daß nicht Olaf Thon, aber sehr wohl Lothar Matthäus sich gestern mittag zum Zwecke des Austauschs mit Medienschaffenden in der Turnhalle von Nizza einfand. Da er sich endgültig am angestammten Platz wähnt, hub er auch gleich mächtig an zu erzählen von Mexiko 1986, dem Viertelfinale, wo er ja einen Elfer reinsemmelte, und auch wie das wohl am Montag alles so werden wird. Bedauerlicherweise ist aber genau in diesem Moment das Ende der Kolumne erreicht, so daß auf einen O-Ton leider verzichtet werden muß. pu