Mon Dieu Mondial
: Wie süß ist Suker?

■ Frauen haben keine Ahnung vom Fußball. Sie glauben, daß das Spiel eine Seele hat

Was verstehen Frauen von Fußball?

Man könnte jetzt zu langen Erklärungen über Gender Studies ansetzen und noch einmal den Zusammenhang zwischen Emanzipation, Globalisierung und Abseits erläutern. Man kann es aber auch lassen und die Frage auf ihren Kernbestand reduzieren: Frauen und Fußball. Jedem dürfte sofort klar sein, daß es sich hierbei um den letzten Grundwiderspruch unserer Epoche handelt.

Ein davon abgeleiteter Nebenwiderspruch ist das Verhältnis meiner Freundin zum Vorrundenspiel der Gruppe H Kroatien gegen Japan. 75 Minuten lang beobachtete sie das Spiel fast teilnahmslos. Es bestand bis dahin nur aus dem Versuch Davor Sukers, ein Tor zu erzielen. Der kroatische Wunderstürmer schoß, köpfte, hechtete – vergeblich. Dann die 77. Minute: Suker schießt – und trifft. 1:0. Er rennt quer über den Platz, er schreit, er jubelt. Meine Freundin zeigt eine erste Regung, sie lächelt. „Sieht der süß aus“, sagt sie plötzlich.

Suker schießt das entscheidende Tor, und sie findet ihn – süß. Mehr muß man dazu wohl nicht sagen.

Dabei sieht Suker völlig normal aus. Na gut, er ist groß, schlank, schwarze Haare und so. Wie die da unten halt alle aussehen. Aber sonst? Nichts besonderes.

So sieht meine Freundin Fußball. Deutschland gegen Jugoslawien, 86. Minute, Freistoß Mihajlovic. Er schießt voll in die Mauer, Klinsmann fällt um und bleibt bewußtlos liegen. Der deutsche Mannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt (lange schwarze Haare!) rennt aufs Spielfeld. „Wow“, entfährt es meiner Freundin, „behandelt der auch Frauen?“

Noch irgendwelche Fragen zum Thema?

Frauen verstehen nichts vom Fußball, weil sie dessen Sinn nicht verstehen. Sie haben kein Empfinden für die Rationalität des Spiels. Sie haben keine Vorstellung davon, daß die Spannung beim Fußball allein in seiner Zweckgebundenheit besteht: Tore sind das einzige, worauf es ankommt. Frauen haben von all dem keine Ahnung. Sie gucken in die Gesichter der Spieler, der Trainer, der Mannschaftsärzte (wahrscheinlich sogar in die der Zeugwarte), weil sie glauben, darin etwas entdecken zu können. Und sie interessieren sich auch noch für die Menschen hinter den Gesichtern. Der Lieblingsspieler meiner Freundin ist Predrag Mijatovic. Sie hat auf arte einen Dokumentarfilm über den Zerfall der jugoslawischen Fußballnationalmannschaft nach dem Bürgerkrieg in Bosnien gesehen. Seitdem weiß sie, daß Mijatovic einen Teil seines Schweinegeldes, das er bei Real Madrid verdient, in irgendwelche Hilfsprojekte in Bosnien steckt. Daß er bei der WM in Frankreich noch kein einziges Tor geschossen hat, weiß sie nicht. (Übrigens: Auch Davor Suker hat in dem Film eine wichtige Rolle gespielt.)

Frauen denken wahrscheinlich, daß Fußball so etwas wie eine Seele hat. Deswegen haben sie permanent Mitleid mit den Verlierern. „Die armen, kleinen Koreaner“, sagt meine Freundin, als sie sieht, wie diese gegen die Holländer mit 0:5 untergehen. Vermutlich weint sie nächste Woche um die armen, kleinen Holländer, die im Achtelfinale gegen die Jugoslawen verlieren werden. Wenn Frauen wüßten, daß man im Fußball einen Killerinstinkt braucht, dann würden sie an die UNO-Menschenrechtskommission schreiben.

Meine Freundin verläßt sich auch beim Fußball nur auf ihr Gefühl. Sie hat mit mir die Ergebnisse aller Vorrundenspiele gewettet. Norwegen-Brasilien 2:1 stand auf ihrem Zettel, Paraguay-Nigeria 3:1, Rumänien-England 2:1, Deutschland-Jugoslawien 2:2. Wie kann man nur so einen Scheiß tippen! Jens König

Der Autor ist Ressortleiter Inland der taz