■ Christopher Street Day: Politiker schicken Grußadressen, aber die rechtliche Diskriminierung aller Queers bleibt weiterhin bestehen
: Jetzt wollen wir den ganzen Kuchen

In den aktuellen Ausgaben von Homomagazinen wie Queer oder der Siegessäule steht verzeichnet, wo und wann in diesen Wochen Christopher-Street-Paraden stattfinden. Ein flüchtiger Blick erstaunt: Die Liste wird von Jahr zu Jahr länger. Selbst in der (Homo-) Provinz wie Dresden oder Oldenburg macht es keinen Skandal mehr, einen karnevalesk wie politisch inspirierten Umzug für schwulesbische Sichtbarkeit und für die noch ausstehenden Rechte zu zelebrieren.

In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln kommen Politiker nicht mehr daran vorbei, Grußworte zu formulieren. In der Hauptstadt sind die Verhältnisse inzwischen sogar so weit gediehen, daß sich die Bezirksbürgermeister dafür rechtfertigen müssen, wenn sie sich weigern, zum Demonstrationstag die Regenbogenflagge – das Banner aller Queers (Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender) – von ihren Rathäusern wehen zu lassen.

Trotzdem beweist diese Entwicklung nicht, daß es in der Bundesrepublik – was schwule und lesbische BürgerInnenrechte anbetrifft – so paradiesisch zugeht, um die Homobewegung für überflüssig zu erklären, wie es voriges Jahr Werner Hinzpeter tat, Autor von „Schöne schwule Welt“. Tatsächlich sind die Lebensverhältnisse von Homosexuellen nur in Großstädten günstig. Hier gibt es die Infrastrukturen, in denen Schwule und Lesben fraglos sein können. Was nicht heißt, daß es außerhalb der Gay Communities bleiern zuginge wie in den fünfziger Jahren.

Fortschritte sind vor allem im kulturellen Bereich erzielt worden. Nicht zuletzt Aids hat in den achtziger Jahren das Mitgefühl Heterosexueller geweckt. Daß Mitleid noch keine Akzeptanz bedeutet, wie Kritiker aus dem autonomen Homobereich immer wieder anmerken, ist klar. Aber wäre ihnen das Gegenteil lieber?

Es ist ja nicht mehr so wie Anfang der siebziger Jahre, als schwule Studenten mühselig gegen die Verfemung des Homosexuellen anschreien mußten. Damals war Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ so provokant wie wichtig. Er war ein Spiegel schwulen Lebens im Untergrund, eine Kritik am Hetero- und Homospießertum. Und ein Signal, eine Schwulenbewegung zu gründen, die vor allem eines im Sinn hatte: sich als homosexuelle Männer zu zeigen und die Öffentlichkeit zu beschämen.

Das, was Frauenbewegte seit den frühen Siebzigern an Schwulen und ihrer Identitätssuche kritisierten – daß sie auch Männer seien und damit Unterdrücker –, war die entscheidende Volte wider ein soldatisches Verständnis vom Mannsein. Es war – wie unschwer an den entsetzten medialen Reaktionen auf den Film immer noch nachfühlbar wird – ein Bruch mit einem bis weit in die kommunistische und sozialistische Linke hineinreichenden Begriff vom Mann: einer, der sein sexuelles Klassenziel nur erreicht, wenn er Frauen penetriert und Nachwuchs (er-)zeugt.

Mehr als nur Fragmente haben sich an diesen Bewußtseinszuständen erhalten, trotzdem ist vieles erreicht worden. Zwanzig Jahre hat es immerhin gedauert, ehe außerhalb der linken (grünen, sozialdemokratischen und autonomen) Szene überhaupt wahrgenommen wurde, daß sich das gesellschaftliche Verständnis vom Zusammenleben der Geschlechter geändert hat und weiter ändern wird. Mittlerweile gibt es auch in der CDU eine Homogruppe; in der Bundeswehr formieren sich schwule Soldaten, um Reformen im Militär zu erreichen; der Völklinger Kreis ist eine Homogruppe von schwulen Managern: Das sind Zeichen, daß die Homofrage auch die letzten gesellschaftlichen Reservate erreicht – und damit notwendig zur Entspannung der Lebensverhältnisse aller Queers beiträgt.

Die traditionelle Schwulenbewegung geißelt diese Entwicklung. Für sie ist alles, was über den eigenen Tellerrand hinaus sich tut, alles, was sich mit ihren Vorstellungen von einer befreiten Welt nicht in Einklang bringen läßt, schwer zu ertragen. Sie, autonom-konservativen Sittenwächtern gleich, beharren darauf, daß Schwule nur eine antipatriarchale Identität brauchen, um halbwegs zufrieden durchs Leben zu gehen.

Und wenn die Adressaten nicht wollen? Wenn es ihnen erst mal reicht, rechtlich nicht mehr behelligt zu werden? Mehr noch: Wenn sie einfach nur die gleichen Rechte wollen, wie die Heteros sie längst haben? Weil sie selbstbewußt genug sind, verweigerte Chancen für eine Unverschämtheit zu halten? Wenn sie zugleich auf die Rechte – wie das, heiraten zu können – verzichten würden? Aber erst, wenn sie sie haben?

Hinter der Haltung, daß Schwule keine gleichen Rechte brauchen, ist leicht der – im Coming-out schon aus Gründen der Selbstfindung nützliche – Glaube zu entdecken, daß eine homosexuelle Orientierung zu einem besonders guten Menschen qualifiziert. Die Christopher-Street-Umzüge legen das Gegenteil nahe: Die Männer und Frauen, die an ihnen teilnehmen, sind so normal oder unnormal wie Heterosexuelle auch, so besonders oder gewöhnlich, so schön oder häßlich, krumm oder gerade. Was sie tatsächlich bindet, ist das Gefühl, nicht allein zu sein. Und eine politische Not.

Nämlich die, anders als in Skandinavien oder den Niederlanden die gleichen Rechte nicht zu bekommen. Das klingt wie die ewige Diskriminierungsleier: Ach, was sind wir unterdrückt! Diese Art von süßlicher Jammerrhetorik ist ein wenig aus der Mode geraten, aber Tatsache ist: Homosexuelle Paare sind vor dem Gesetz nicht geschützt. Und an diesem Problem hängen alle weiteren: Schwule und Lesben können ihre Sozialwohnungsscheine in den meisten Bundesländern nicht zusammenlegen. Das Erbrecht kennt keine homosexuellen Paare – auf die Nachlässe haben Eltern zuvörderst Zugriff. Schwule Väter und lesbische Mütter sind in Scheidungsverfahren beim Sorgerecht benachteiligt.

Natürlich haben Schwule und Lesben auch wohlwollende Angehörige – aber was machen die, die in der eigenen Familie von Übelwilligen umgeben sind? Schützen täte hier nur ein Personenstands- und Zivilrecht, das eben für böswillige Umstände geschaffen ist.

Familienministerin Claudia Nolte nimmt wenigstens zur Kenntnis, daß es einen rechtlichen Regelungsbedarf gibt. Sie lehnte aber kürzlich die Homo-Ehe ab und riet zu Zivilverträgen zwischen homosexuell Liierten. Danke für die Krümel. Auch in dieser Hinsicht wird es Zeit, daß diese Regierung abgelöst wird. Sie steht homosexuellen Interessen im Wege. Wir wollen den ganzen Kuchen. Jan Feddersen