Drama ohne Melodie

■ Karg, statisch, anstrengend: Luc Bondys distanzschaffende Inszenierung von Racines „Phèdre“ als Gastspiel am Thalia

Der Begleiter der Rezensentin gibt nach einer Viertelstunde die Hoffnung auf. Ihn läßt das Treiben – besser: Sprechen – auf der Bühne kalt. Zu wenig Action. Dann alles noch auf Französisch. Und dauernd muß er den Kopf nach oben zu den Tafeln mit den Übersetzungen verrenken. Dabei hat Jean Racine 1667 mit Phèdre ein Stück über die großen Gefühle geschrieben. Warum nur geht einem die unerwiderte Leidenschaft der Königsgattin Phèdre zu ihrem Stiefsohn Hippolytos sowenig zu Herzen?

Vermutlich weil das Luc Bondy so wollte. Er interpretiert die im antiken Griechenland angesiedelte Tragödie auf hochgradig künstliche und kühle Weise. Der Schweizer Regisseur macht in seinem Gastspiel des ThéÛtre Vidy-Lausanne am Thalia Theater nicht den kleinsten Versuch, den Stoff im sperrigen Versmaß der Hexameter in irgendeiner Form zu aktualisieren oder für ein unterhaltungsverwöhntes Publikum aufzulockern. Im Gegenteil, er betont noch die Starrheit und Strenge der damaligen Konventionen.

So karg und statisch die Bühne von Erich Wonder, die mit zwei monumentalen Toren und einem Sandhaufen eine griechische Küstenlandschaft andeutet, so agiert auch der Großteil der Darsteller. Valérie Dréville als Phèdre ist längst nicht mehr von dieser Welt. Wenn sie spricht, zerdehnt sie in tonloser Manier die Worte in einzelne Buchstaben, wenn sie geht, senkt sie den Kopf mutlos zu Boden. Nur als sie erfährt, daß ihr Stiefsohn eine andere liebt, kommt Leben in die Todgeweihte. Zur Schmach über die unerwiderte Leidenschaft gesellt sich nun der Schmerz der Eifersucht: Phèdre schreit auf und wälzt sich auf dem Boden – der einzige Gefühlsausbruch in dieser Inszenierung.

Stiefsohn Hippolytos scheint wie unter Beruhigungspillen zu stehen. Völlig verwirrt und apathisch reagiert der Jüngling auf die Liebeserklärung Phèdres und die anschließend gegen ihn in Umlauf gesetzten Lügengeschichten. Koboldhaft-lebendig dagegen die eigentliche Drahtzieherin der Intrige: Phèdres Dienerin Önone (Dominique Frot). Sie verführt ihre Herrin zum Verrat am Stiefsohn, als der totgeglaubte König heimkehrt. Ständig liegen sich die beiden Frauen in den Armen, küssen und umklammern einander. Doch selbst diese Nähe ist eine künstliche, die nach Distanz schreit. Distanz, die unausweichlich den Zuschauer ergreift – der schon lange die kindliche Hoffnung auf eine ergreifend traurige Liebesgeschichte aufgegeben hat. Karin Liebe