Die Architektur des Unsichtbaren

■ Symposium an der Uni Oldenburg diskutierte am Beispiel Emden über Formen, Geschichte zu erinnern

Größenwahn und Provinzialität kennzeichnen den berlintypischen Streit um das geplante zentrale Holocaustdenkmal in der Hauptstadt. Natürlich ruft diese Auseinandersetzung die gesamte Kunstwissenschaft auf den Plan. Nicht nur in Berlin. Silke Wenck, Professorin im Fachbereich Kunst an der Uni Oldenburg, hatte zu einem Symposium geladen, um „Über den richtigen Umgang mit schweren Erinnerungen“ zu debattieren.

Kein Symposium der heißen Streitereien. Denn Marsha S. Pels (New York), Katharina Jedermann (Berlin), Martina Pottek (Bonn) und Eberhard Elfert (Berlin) waren sich über ihre Ansätze einig, die sich jenseits der grünen Planungstische politischer Ausschüsse bewegen; jenseits auch einer gefälligen, „ungefährlichen“ Gedenkkultur.

Eberhard Elfert eröffnet mit seinem Verein „Berliner Unterwelten“ ungewöhnliche Perspektiven auf die deutsche Geschichte. Vereinsziel ist der Erhalt der historischen Zeugnisse, die sich in den Berliner Boden eingegraben haben. Die Bildungsurlaube aber, die der Verein veranstaltet, um in Tunneln, Kavernen und Bunkern mit der Untersicht der Berliner Geschichte vertraut zu machen, ziehen oftmals ein Klientel an, die sich eher mit der modernen Technikrationalität des Naziapparates identifiziert und den heroischen Thrill erwartet, als eine kritische Lesart des Erinnerns. Dafür bieten Berlins Unterwelten viel Hohlraum.

Wo dieses Erbe aber ans Tageslicht tritt, wird deutsche Geschichte einfach zugeschüttet oder abgetragen. Auch im Untergrund des geplanten Holocaustdenkmals. Hier befindet sich der Göbbels-Bunker. Das heißt: Viel ist nicht mehr davon da, die Kanalarbeiter der Städteplanung haben schon fleißig abgetragen, denn „die Opfer sollen sich über die Täter erheben“. So verteidigte Lea Rosh die Errichtung des Holocaust-Denkmals an diesem Ort. Über Einbeziehung der Bunkerreste in das Gedenken, über Konfrontation mit einem Teil eigener Geschichte, wird öffentlich nicht verhandelt.

So bleibt Geschichte als Schuld bestehen, die sich mit keinem Bagger abtragen läßt, und zu neuen Verdrängungsleistungen führen muß, befürchtet auch Silke Wenck.

Neue Ansätze zum „Umgang mit schwierigen Erinnerungen“ aber entstehen in der sogenannten deutschen Provinz. Der Holocaust war halt nicht zentral, sondern überall und soll in seiner Alltagspräsenz sichtbar werden. Marsha S. Pels versuchte während ihres zehnmonatigen Aufenthaltes in Emden gerade diese Schichten der Stadt, die zu den Luftschutzorten 1. Ordnung gehörten, wieder freizulegen und eine Konfrontation mit den Spuren jüdischen Lebens – und damit auch ihrer eigenen Lebensgeschichte – als Gedenkraum zu erarbeiten.

Die New Yorkerin fand sich an der Emder Waterkant in einer wahren Diaspora. Anker und Seehunde – Monumente der Stadt zeigen die enge Verbundenheit mit der See. Die fünfunddreißig noch erhaltenen Bunker der Stadt wurden größtenteils architektonisch integriert. An die jüdische Geschichte aber erinnern nur der kleine Friedhof und ein schwarzer Gedenkstein auf dem Platz der ehemaligen Synagoge. In der wieder aufgebauten Großen Kirche Emdens versuchte die Künstlerin, das Erinnern an einst vorhandene Architektur aufzuspüren, Räume erfahrbar zu machen und somit auch eine Vorstellung von der ehemaligen Synagoge zu erhalten.

Ein Entwurf der zerstörten Synagoge aus dem Jahre 1909 ist von ihrem Großonkel signiert. Er war Vorsteher der israelitischen Gemeinde Emdens. In dieser Verwobenheit mit der eigenen Lebensgeschichte wird die Erinnerungsarbeit der Künstlerin ein Bearbeitungsprozeß, der als Zumutung in ihren Entwurf für die Arbeit an einem zentralen Bunker beim Hauptbahnhof einfließt. Hier soll die Westfront der Synagoge im laminierten Glas wiedererstehen. Die Arkaden des frühreren Baus bilden zum Bunker hin einen Innenhof. Ein Ort, in dem die Materialien miteinander arbeiten, sich spiegeln, dreidimensionale Wirkungen entfachen, soll als Reflektionsraum auf dem Emder Bahnhofsvorplatz entstehen. Dem Ort, von wo einst deportiert wurde.

„Geschichte ist taktil“, sagte Marsha Pels und bezog sich damit bewußt auf die Möglichkeit, daß die Glasfront mit der Zeit angegriffen und zerstört wird, daß Geschichte sich hier sinnbildhaft wiederholt. Das aber wäre eine Gedenkaussage, die Giordanos „zweite Schuld“ – die Verdrehung von Ursache und Wirkung – aus den Unterwelten deutschen Bewußtseins ans Tageslicht befördern könnte. Marijke Gerwin