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■ VorschlagTon, Unterton, Oberton, guter Ton – Die Komponistin Judith Weir

Judith Weir ist Komponistin. Als Teenager fing sie an, 30 Jahre lang ist sie dabei geblieben. Ihre Biographie endet nicht immer wieder an Wänden, durch die der Kopf nicht geht. In England ist sie bekannt und geschätzt; in Berlin soll sie es eine Woche lang auch sein.

Judith Weir schreibt Kammermusik und sie schreibt Opern. Beidem haftet, wie sie selbst sagt, Unzeitgemäßes an. Der Kammermusik, weil sie zu klein ist und im Konzertbetrieb schnell untergeht, Opern, weil sie zu groß und teuer sind. Die immer ausladenderen Orchester hält sie für einen Fehler der Mega-Event-Kultur. Insbesondere ist ihr die Rolle des Dirigenten ein Dorn im Auge: zuwenig demokratisch, zuviel Dompteur. Bei Opern hingegen macht sie vor, wie sie billiger werden könnten. Warum den Sänger oder die Sängerin auf eine Stimme, auf eine Rolle festlegen, wo mehr möglich ist. Auf die Spitze getrieben hat sie ihren Hang zum Ökonomischen in „King Harald's Saga“. Diese „Grand Opera in three Acts“ hat acht Hauptrollen, die von einem einzigen Sopran in zehn Minuten zu singen sind. Britisches Understatement und pädagogische Hartnäckigkeit kommen in ihren Kompositionen zusammen. Sie sind eigenwillig, aber unaufdringlich, bedienen mit Leichtigkeit die Idee der klassischen Musik, ohne die Neue Musik zu vernachlässigen, setzen auf verspielte Transparenz und verstecken doch das komplizierte Umkreisen eines historischen, musikalischen oder literarischen Motivs.

Thematisch bezieht sich Judith Weir auf Volksmusik und die Tradition des Geschichtenerzählens. Eine Melancholie vom Weggehen und Nicht-Zurückkommen steckt darin, wenn es sich um Schottisches, Irisches oder modern Urbanes handelt. Während ihre Arbeit mit chinesischer Musik oder auch der des Balkans durchaus auf eine Kritik an undemokratischen Verhältnissen zielt. All diesen Facetten kann in ihrer 1993 entstandenen Oper „Der blonde Eckbert“, die an der Hochschule der Künste einstudiert wurde, nachgespürt werden. Grundlage ist ein Märchen von Ludwig Tieck, das wie ein dokumentarischer Bericht beginnt und als surreales Psychodrama endet: Gewalt, Betrug, Inzest, Mord. Die jetztige Inszenierung in Berlin ist eine gelungene Mischung aus HdK-Abschlußprüfungsdrama und Fantasy-Spiel. Eine Synthese, für die Judith Weir Sympathien hegt, denn Kulturchauvinismus ist ihr fremd. Sie arbeitet gleichermaßen gern mit Schülern, Laien und Profis. Waltraud Schwab

Heute, 20 Uhr, Gastkonzert der Royal Academy of Music mit Werken von J. Weir im Podewil; Dienstag und Mittwoch „Der blonde Eckbert“ im Theater- und Probensaal der HdK, Fasanenstr. 1b

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