Westerwelle will Protzner nicht tolerieren

■ Die FDP sieht in der Koalition mit der Union ihre einzige Wahlperspektive, aber als ihr Generalsekretär die liberale Unabhängigkeit predigte, geriet der Parteitag aus dem Häuschen

Leipzig (taz) – Kaum hatte der Bundesparteitag der FDP eine Koalitionsaussage zugunsten der Union beschlossen, kam prompt die Antwort aus München. Der Generalsekretär der CSU, Bernd Protzner, ließ den Regierungspartner am Samstag wissen, daß sich die CSU auch eine Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung vorstellen könne. Sein FDP-Kollege Guido Westerwelle giftete daraufhin zurück: „Ich habe heute Schwierigkeiten, Herrn Protzner zu tolerieren.“

Die Äußerung des CSU-Mannes sorgte um so mehr für Unmut auf dem FDP-Parteitag, als den Delegierten die Aussage zugunsten des bisherigen Bündnisses nicht leichtgefallen war. Zwar mangelt es nicht an programmatischer Gemeinsamkeiten, doch in den Gängen wurde mehrfach die Befürchtung laut, mit ins Stimmungstief gezogen zu werden, wenn man sich zu eng an die Union kette. Andererseits hielt man eine Aussage zugunsten der SPD für ausgeschlossen. Noch. Dagegen sprachen gleich mehrere Faktoren: die mehrheitlich konservativ-wirtschaftsliberale Orientierung der eigenen Klientel, die deutlich ablehnenden Signale der SPD sowie die Furcht, der Überschrift „Umfallerpartei“ ein neues Kapitel hinzuzufügen. Deshalb waren Bündnistreue und Unabhängigkeit gefragt.

Um Unabhängigkeit zu dokumentieren, setzte Westerwelle auf das, was er „Alleinstellungsmerkmale“ nannte. Er ging in seiner Rede auf deutliche Distanz zur Union und erntete dafür weit mehr Applaus und Zustimmung als zuvor der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt für sein Koalitionsplädoyer. Kohl, so stellte der Generalsekretär klar, sei „nicht der Spitzenkandidat der Koalition, sondern der CDU“. Die Innenpolitik von Kanther sei nicht liberal, sondern konservativ. Die Blümsche Sozialpolitik nannte er sozialdemokratisch, die Außenpolitik der CSU provinziell. Allerdings ließ sich Westerwelle nicht dazu hinreißen, das Ende der Ära Kohl auszurufen. Mit dieser Provokation hatte er im Vorfeld des Parteitages die Debatte um die Orientierung der Liberalen erst ausgelöst.

Die FDP erkennt in den Grünen ihren Hauptgegner in diesem Wahlkampf. Mit denen stehe die FDP, so Westerwelle, in einem Wettbewerb um den dritten Platz im Parteiengefüge. In diesem Wettbewerb bedienen sie sich allerdings eines gleichen Argumentationsmusters. Wer Rot-Grün will, muß Grün wählen, lautet das Credo der Grünen. Wer Rot-Grün verhindern will, muß FDP wählen, konterte gestern Außenminister Klaus Kinkel in seiner Abschlußrede. Kinkel hielt den Grünen die Ablehnung des Maastricht-Vertrages, das Nein zur Osterweiterung der Nato und „den unsäglichen Auftritt von Herrn Trittin am Rande des Bundeswehrgelöbnisses“ vor. Es dürfe nicht sein, daß Trittin und seine Partei über die Zukunft Deutschlands das Sagen bekämen. Die Außenpolitik müsse berechenbar bleiben.

So klar die außenpolitische Profilierung gegenüber den Grünen und damit die Abgrenzung zu Rot- Grün war, so undeutlich blieb die Argumentation gegen eine große Koalition. Keiner der führenden Liberalen ging in seiner Rede auf diese Regierungsvariante nach dem 27. September ein. Dabei liegt darin die naheliegendste Gefahr für die FDP. Denn während in der direkten Konfrontation mit den Grünen kaum Wechselwähler zu gewinnen sein werden, könnte eine Orientierung der Union auf eine große Koalition in der Schlußphase des Wahlkampfes die FDP die entscheidenden Stimmen der Wechselwähler kosten. Dies waren bei den vergangenen Wahlen CDU-Wähler, die der FDP ihre Zweitstimme gegeben haben, um damit die Koalition zu erhalten.

Wie die Forschungsgruppe Wahlen vor wenigen Tagen feststellte, „gibt es nicht sehr viele solcher taktischen Wähler, die politisch ausreichend hoch interessiert sind, um so zielgerichtet zu handeln“. Voraussetzung für deren Entscheidung zugunsten der FDP sei vor allem, daß „ausreichend viele den Eindruck haben, daß die jetzige Bonner Koalition die Chance hat, weiter zu regieren“. Dieser Eindruck wird vor allem von den Umfrageergebnissen der Union abhängen. Bleiben sie niedrig, wird die Union jede Stimme, auch die der taktischen Wechselwähler, brauchen, um stärkste Kraft zu bleiben. Gerhardt glaubt trotzdem aufgrund des Modernitätsprofils seiner Partei, genug Zweitstimmen zu erhalten. Nach Ansicht der Forschungsgruppe wird sich das erst wenige Wochen vor der Wahl herausstellen. Bis dahin hätten Aussagen über die Chancen der FDP eher Wettcharakter. Und Wetten wurden auf dem Leipziger Parteitag noch keine abgeschlossen. Dieter Rulff