Wut über die „Mördermacht“

Nach der Ermordung des algerischen Berber-Sängers Matoub Lounès durch Islamisten protestieren seine Anhänger in der Kabylei – gegen die Regierung  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Es gab kein Durchkommen. Schon neun Kilometer vor Taourit Moussa, wo gestern der von Islamisten ermordete algerische Protestsänger Matoub Lounès beigesetzt wurde, staute sich der Verkehr. Mehrere Stunden vor der Trauerfeier mußten sich Tausende von Menschen zu Fuß auf den Weg über die enge Gebirgsstraße machen. Viele erreichten den Friedhof nicht mehr rechtzeitig zur Mittagszeit. Der von der „Bewegung für die Berberkultur“ (MCB) und den beiden in der algerischen Kabylei stark verankerten Parteien „Versammlung für Kultur und Demokratie“ (RCD) und „Front der Sozialistischen Kräfte“ (FFS) ausgerufene Generalstreik im Gedenken an Matoub Lounès wurde sowohl am Samstag als auch gestern überall in der Region befolgt. Am Donnerstag hatten radikale Islamisten den Sänger und Streiter für die Berberkultur ermordet.

„Ich bitte darum, meines Bruders mit Würde zu gedenken und ihm zahlreich und friedlich das letzte Geleit zu geben“, rief die aus Paris angereiste Schwester Matoubs, Malika. Auch Algeriens Innenminister Mustafa Benmansour mahnte zu Ruhe und Besonnenheit. Die Organisatoren des Generalstreiks hatten befürchtet, die Szenen der vergangenen Tage, als in mehreren Städten Jugendliche öffentliche Gebäude in Brand steckten, könnten sich wiederholen und Matoubs kleinen Heimatort 25 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Tizi Ouzou in ein Schlachtfeld verwandeln. Bis gestern nachmittag wurden allerdings keine Auseinandersetzungen bekannt.

Am Vortag hatten Anti-Aufruhr-Einheiten neben Tränengas auch scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt und mindestens zwei Menschen getötet. Am Freitag war es in Tizi Ouzou, die größte Stadt der Kabylei östlich von Algier, zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und mehreren hundert, meist jugendlichen Demonstranten gekommen, als die Leiche von Matoub Lounès in das Provinzkrankenhaus überführt wurde. Am Samstag, dem ersten Tag des Generalstreiks, weiteten sich die Unruhen aus. Der Funke sprang von Tizi Ouzou auf mehrere andere Städte über. So wurde in Sidi Aich das Gericht und die Telefonzentrale in Brand gesteckt, in Akbou wurden die Büros der regierenden „National-Demokratischen Versammlung“ (RND) und der ehemaligen Staatspartei FLN Opfer der empörten Menge.

„Pouvoir assassin“ – Mördermacht – schrien die Jugendlichen immer wieder. So weit, dem Staat die Verantwortung für den Tod an Matoub Lounès anzulasten, will der Vorsitzende des RCD- Ortsverbandes Tizi Ouzou, dem auch Matoub angehörte, Aoudj Mohand-Kali, jedoch nicht gehen. „Es waren die Islamisten. Daran gibt es keinen Zweifel“, sagt er. Allerdings versteht er die Wut der jungen Demonstranten. „Seit den Wahlen im letzten Juni sind sieben sogenannte gemäßigte Islamisten von MSP-Hamas an der Regierung in Algier beteiligt. Auch sie haben Matoub Lounès immer wieder wegen seiner laizistischen Überzeugung angegriffen.“ Diese „Komplizität“ käme schlecht an.

Doch auch der Verlust von Matoub Lounès kann die rivalisierenden Politiker der Kabylei nicht dazu bewegen, über ihren eigenen Schatten zu springen. Die RCD mobilisiert für Donnerstag zu einer Demonstration in der Hauptstadt Algier – und ignoriert die Konkurrenzpartei FFS, die schon für morgen zu einem „Nationalen Marsch auf Algier“ aufruft.