CSU toleriert Schröders Übermacht

■ Generalsekretär Protzner hält nach Wahlniederlage der Union die Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung für möglich und erntet damit wütende Reaktionen im eigenen Lager. Kandidat Schröder lehnt dankend ab

Berlin (taz) – Mit heftigen Angriffen gegen Gerhard Schröder ist die CSU am Samstag in München in ihren Wahlkampf gestartet. Ein „Lügner“ sei der SPD-Kanzlerkandidat, ein „Dilettant“, so CSU-Chef Theo Waigel – doch wie groß in Wahrheit die Angst vor Schröder und die eigene Verunsicherung ist, offenbarte CSU-Generalsekretär Bernd Protzner mit nur einem einzigen Satz: Im Falle einer Niederlage bei der Bundestagswahl sollte die Union notfalls eine SPD-Minderheitsregierung tolerieren.

Protzner bestätigte damit unfreiwillig entsprechende Überlegungen der CSU- Spitze. Hintergrund ist die öffentliche Festlegung sowohl des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoibers als auch Parteichef Theo Waigels, unter keinen Umständen in eine Große Koalition unter SPD-Führung einzutreten. Für den Fall eines sozialdemokratischen Wahlsiegs wird in der CSU offenbar erörtert, gemeinsam mit der CDU eine rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren. Bedingung sei jedoch, daß zentrale von der jetzigen Koalition durchgesetzte Gesetzesänderungen bestehen blieben. Dann würde die CSU in Einzelfällen mit der SPD stimmen. „Wir würden Schröder nicht mitwählen und uns nicht enthalten, aber seinen Haushalt billigen“, so Protzner.

Der Spiegel berichtet, daß sich die CSU auf dieses Szenario eingeschworen habe: „Unter keinen Umständen“ dürften sich CDU und CSU als Juniorpartner in eine Große Koalition einbinden lassen. Falls die CDU nach der Wahl doch eine Große Koalition mit der SPD anstrebe, würde die CSU sogar eine Spaltung der Union in Kauf nehmen. Das Nachrichtenmagazin zitiert ein CSU-Regierungsmitglied mit den Worten, daß in diesem Fall „der Bruch der Fraktionsgemeinschaft, die Spaltung der Union“, bevorstünde. Theo Waigel habe in einer CSU-Vorstandssitzung gesagt, „Schäuble oder ein anderer“ als Vizekanzler in einer Regierung Schröder wäre „verheerend“ für die CSU.

Die CSU sorgt sich vor allem wegen der Folgen einer Großen Koalition. Die Parteien an den Rändern des politischen Spektrums könnten gestärkt werden, heißt es. Das Profil der Union werde unklar. Auf die Große Koalition von 1966 bis 1969 seien dreizehn Jahre Opposition gefolgt.

Protzner versetzte mit seinen Äußerungen die Koalitionsparteien in helle Aufregung. Die CSU-Spitze forderte ein Ende der Diskussion. Theo Waigel erklärte, er halte nichts von Spekulationen über die Zeit nach der Wahl. „Wir tolerieren die nicht“, sagte er in Richtung SPD, „sondern wir bekämpfen die.“ CDU-Generalsekretär Peter Hintze nannte die Spekulationen über eine Große Koalition „völlig absurd“, weil diese rechnerisch und politisch ausscheide. Entweder hätten SPD, Grüne und PDS die Mehrheit oder CDU/CSU und FDP. Etwas Drittes gebe es nicht, führte Hintze seine beachtlichen mathematischen Fähigkeiten vor. „Rot-Grün ohne PDS gibt es nicht im Angebot.“

Die FDP schwankte in ihrer Reaktion zwischen Wut und Sarkasmus. „Hirnrissig“ nannte ein FDP-Minister Protzners Äußerungen. „So was kann man vielleicht denken, aber nicht sagen“, kritisiert er. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle meinte hingegen: „Ich habe schon Schwierigkeiten, heute Herrn Protzner zu tolerieren.“

Protzner selbst zog vergeblich alle Register des offenen und versteckten Dementi- Journalismus. Gestern gab der CSU-Generalsekretär Interview um Interview und erklärte, er habe sich nur „für den unwahrscheinlichen Fall eines staatspolitischen Notstands“ geäußert.

Die SPD hielt sich mit ihrer Freude über den gelungenen CSU- Wahlkampfauftakt zurück. Gerhard Schröder erklärte lediglich, er schließe die Bildung einer Minderheitsregierung aus. Jens König

Kommentar Seite 12