Eine Öde auf die Avantgarde

■ Wo Satie, Stein und Co. über die Liebe plaudern: Pannis Oper „Das Bankett“ jetzt neu im Concordia

Schon nach der Matinée zur Oper war es zu ahnen. Und doch haben wir bis zuletzt nicht glauben wollen, was jetzt im Concordia zu hören war: Da schreibt ein Komponist pausenlos Musik, obschon er der Meinung ist, musikalisch „sei alles schon gesagt“: „Das Bankett“, das von Marcello Panni – nach Platos Gastmahl – im Auftrag des Bremer Theaters (oder des Theaterintendanten Klaus Pierwoß) komponierte Werk wurde am Sonntag im Concordia uraufgeführt: Darin versammelt sich die künstlerische Avantgarde am Anfang dieses Jahrhunderts – genau: 1918, am Tag vor Kriegsende – in Paris zum Bankett und plaudert über die Liebe.

„Liebe ist eine Summe von Zerstörungen“, meint lebenserfahren Pablo Picasso. „Was ist Liebe ist sie ist sie ist sie sie ist ist sie ist sie einfach“, meint Gertrude Stein mit der ihr eigenen lyrischen Sprache. „Die Liebe ist immer jung, immer neu, sie ist ein Mysterium“, meint ganz originell Jean Cocteau. Und für den Futuristen Filippo Tomasi Marinetti ist die Liebe „im Geräusch der Motoren, im Abgas der Fabrikschlote“. Für den Bürgerschreck-Komponisten Erik Satie ist „die Liebe etwas Leichteres, Weißeres, Unberührteres“, und er meint: „Mein Mädchen hat die Form einer Birne.“ Ja, und dann gibt's da noch die ehemalige Geliebte von Guillaume Apollinaire, Marie Laurencin, die der am Kopf Verwundete Apollinaire am Tag vor seinem Tod zurückzugewinnen versucht, mittels eines veritablen Liebesduettes.

Kann so etwas zu einer tragfähigen Substanz für einen Theaterabend werden, sowohl textlich als auch musikalisch? Nein, nicht in diesem Fall, der über Naivität und Ungebrochenheit an keiner Stelle hinauskommt, der an keiner Stelle den Versuch macht, sich den auftretenden Persönlichkeiten zu nähern, die damals den Begriff der Avantgarde schlechthin geprägt haben. Der New Yorker Literaturwissenschaftler und Dichter Kenneth Koch schrieb den vollkommen undramatischen und undialektischen Text in der barocken Form von Rezitativ und Arie, und erwartungsgemäß plündert Panni Musikgeschichte in jeder Hinsicht – einmal generell im Revue- und Musicalstil der zwanziger Jahre mit seinen zahlreichen Tänzen. Und zum anderen nutzt er musikalische Zitate und Anspielungen seiner Protagonisten, so den einfachen Ton der Musik von Erik Satie. Schließlich geistert auch die Intervallfolge von B-A-C-H durch das Stück und beendet es. Günter Neuhold lieferte mit einer sechzehnköpfigen „Combo“ eine überzeugende rhythmische Leistung, konnte aber über die unsägliche Ödheit dieser Musik auch nicht hinwegtäuschen.

Könnte eine szenische Einrichtung über Plattheit von Text und Musik hinweghelfen? David Mouchtar-Samorei ist eine Menge eingefallen: In einem Bühnenraum von Heinz Hauser präsentierte er eine Gesellschaft als Tanz auf dem Vulkan, als Tanz mit dem Tod. Skelette bevölkerten deshalb reichlich die Szene. Auch die Kostüme von Urte Eicker barsten nur so vor Einfallskraft, aber all das half nicht. Denn wenn der szenische Einfall nicht aus der Substanz des Stückes kommt, sondern unsäglich krampfhaft aufgesetzt wird, kann das auch bei ganz netten Einzelmomenten nichts werden. Auch erlauben Text und Musik kaum, die Personen so zu charakterisieren, daß ein Regisseur damit arbeiten kann.

Dies war höchstens und auch nur andeutungsweise der Fall bei Apollinaire – mit dem andauernd via Videomonitor auf Günter Neuhold schauenden Mihai Zamfir – und Marie Laurencien, der Laura Pedersen eine anrührende Gestalt gab. Ansonsten polterte Andreas Haller als Marinetti durch die Szene, Karsten Küsters als Erik Satie, Ralf Simon als lyrischer Cocteau, Ron Peo in seiner letzten bremischen Rolle als Querkopf Picasso, Eva Gilhofer eindringlich als fast fotografisch genau abgebildete Gertrude Stein und Jacqueline Davenport in der stummen Rolle der leidenden Olga Picasso. Aufgemischt wurde das ganze durch weitere Gäste wie Milhaud, Breton, Hemingway und andere – zu erkennen an den Schildchen, die sie trugen, und durch eine lebhafte Tanztruppe.

Was soll's? Die Uraufführung war heftig umjubelt, wofür es viele Gründe gibt: Tingelmusik, die nicht weh tut, eine Länge, die mit siebzig Minuten den Abend noch für anderes frei läßt, Nähe zu den Stars im kleinen Concordia-Theater: Das Publikum war durch die langgezogene Sitzordnung ja beim Bankett dabei. Aber neues Musiktheater, gar innovatives? Fehlanzeige. Ute Schalz-Laurenze

Weitere Aufführungen 3., 5., 12., 14. und 16. Juli um 20 Uhr im Concordia