Mon Dieu Mondial
: Crescendo des Grauens

■ Fußballweltmeisterschaft, öffentlich-rechtlich – nichts wie weg

Wenn man die letzten drei Fußballweltmeisterschaften in taz-Diensten vor Ort verbracht hat, bedeutet das Erleben der WM in heimatlichen Gefilden das Eintauchen in eine völlig neue Dimension. Eine von seltsamen Wesen bevölkerte Welt, bizarr, unwirklich und skurril; eine Welt, in der obskure Gestalten ihr Unwesen treiben und unverständliche Dinge tun oder reden; eine Welt, geprägt von stämmischen Riten einer längst vergangenen Zeit, so fremd wie ein Theaterstück aus einer Galaxie vom Ende des Universums; eine nahezu lupenreine Männerwelt, die einen konkreten Namen trägt: Fernsehen.

Nie treten die Hauptdarsteller der öffentlich-rechtlichen Alien-Riege so geballt, so unbarmherzig, so omnipräsent auf wie während einer Fußball- WM. Da sind die Spiele selbst, die Marathonsitzungen während der Vorrunde etwa, als in der ARD Mohren, Rubenbauer und Faßbender nacheinander je ein Match kommentierten. Ein Crescendo des Grauens, ein Fortissimo des schlechten Geschmacks, eine chinesische Worttropfenfolter mit linearer Leidensprogression. Am Ende wirkte es, als kommentiere immer noch Mohren, habe aber alle zehn Minuten einen Schnaps getrunken. Und als Zugabe dann die gesammelte Phalanx der Experten, allen voran die automatische Plattitüdenschleuder Günter Netzer, der jedes Spiel so trocken analysiert, daß man vor der Mattscheibe Skorbut bekommt, und mit allen anderen Experten eines gemeinsam hat: nicht ein winziges Fünkchen Humor. Aber Fußball ist schließlich eine ernste Sache, und besonders ernst, wenn es lustig werden soll. Leider haben die Programmdirektoren bemerkt, daß Fußball ungeheuer bedeutsam ist, und nahezu unbegrenzt Sendezeit zur Verfügung gestellt, die gefüllt werden will. Und also grinsen und schmalzen und dienern und schleimen sie, die Waldis, die Rubis, die Poschis, die Michis, die Steinis und die Brechis, daß sich die Satellitenschüsseln biegen und die Kabel schmelzen, auf daß es endlich wieder öffentlich-rechtlich werde im Reiche des Fußballs. Dann tollt eine Puppe namens Faßbender durchs Bild und redet wie Möllemann, dann heißen die Beiträge plötzlich Apropos oder Olalá, dann kommt alle dreißig Sekunden das Wort Viagra vor, und ständig drängeln sich weibliche Fans aus Jamaika ins Bild, die schon jetzt den Grimme- Preis für die größte Bildschirmpräsenz aller Zeiten sicher haben. Fußball im Fernsehen – ein einziger Herrenwitz.

Und dann erst die Musik. „Here we go, allez, allez, allez“ und Eros Ramazotti, bis weltweit die Ohrenschmalzvorräte knapp werden, als perfider Höhepunkt der Verirrung, als ultimatives Sakrileg, schließlich die drei Tenöre: „You'll never walk alone“. Das ist, als würden Bob Dylan, Neil Young und Tom Waits gemeinsam „Celeste Aida“ singen und sollte mit Elfmeterschießen nicht unter fünf Jahren bestraft werden.

Manchmal werden sie aber auch grundsätzlich, die Sportritter der Kamera, vor allem, wenn gerade keine weiblichen Fans aus Jamaika zur Hand sind. Dann predigen sie besonders gern wider die Verweichlichung, allen voran Rambo Rubi, der jedes Foul verzeihlich findet, das nicht auf der Stelle tödlich ist. Im nächsten Atemzug wird dann gefordert, daß „bei einem solchen Turnier die besten Schiedsrichter sein sollten“. Gemeint sind natürlich jene Herren, die an jedem beliebigen Bundesligaspieltag mehr Unsinn pfeifen als sämtliche Schiedsrichter aus Mauritius, Niger und Kolumbien in ihrem ganzen Leben. Doch was aus Deutschland kommt, muß einfach super sein. Sieht man ja schließlich an den Fernsehreportern. Oooh rewaaah, tuss! Matti Lieske

Der Autor ist Sportredakteur der taz