Die Säbelschwinger scheiden aus

Dänemark kickt Nigeria 4:1 aus dem Turnier und führt vor Augen, daß infrastrukturelle Defizite bis auf weiteres einen afrikanischen Weltmeister verhindern  ■ Aus Paris Christoph Biermann

Im ersten Indiana-Jones-Film gibt es eine lustige kleine Szene, in der ein säbelschwingender Araber mit Turban und Gesichtsvermummung den Helden in einem Basar bedroht. Wild springt er vor ihm herum und läßt unter Vollführung wüster Verrenkungen in atemberaubender Geschwindigkeit die Klinge durch die Luft sausen. Indiana Jones schaut einen Moment lang beeindruckt zu – und erschießt ihn.

Dieser gespielte Witz zum Thema technischer Fortschritt und europäische Effizienz versus verschwurbelt rückständige Exotik der Dritten Welt wurde im Achtelfinale zwischen Nigeria und Dänemark noch einmal als Fußballspiel nachgestellt. Die Dänen legten mit so klinischer Präzision bereits in den ersten zwölf Minuten ein 2:0 vor, daß man glauben konnte, ihre weißen Trikots seien in Wirklichkeit Operationskittel. Wobei mit Peter Møller ein Stürmer an den ersten beiden Toren beteiligt war, für den es auf dem Fußballfeld nur einen Weg gibt – geradeaus. Nach zwei Minuten verwandelte er ansatzlos das Anspiel von Michael Laudrup; zehn Minuten später drosch er einen Freistoß so hart aufs Tor, daß Peter Rufai den Ball nicht festhalten konnte und Brian Laudrup abstaubte.

Die Nigerianer fingen erst danach an, mit ihren Schwertern zu wedeln, hatten jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt „die Konzentration verloren“, wie Bora Milutinović analysierte. Jay-Jay Okocha lotete noch einmal das ganze Spektrum der Möglichkeiten aus, was man per Fuß mit einem Ball alles machen kann, leitete einige Chancen ein und schoß selbst gefährlich. Die geordneten und konzentrierten Dänen brachte das aber nie richtig in Gefahr. Als Ebbe Sand nach einer Stunde für besagten Möller auf den Platz kam und nur 16 Sekunden später das 3:0 schoß, waren auch die letzten Spekulationen auf eine dramatische Wende zugunsten Nigerias obsolet.

Damit wird es in diesem Jahrhundert keinen afrikanischen Fußballweltmeister geben, was mit Blick auf Nigeria so bedauerlich wie erklärbar ist. Die Mannschaft zeigte auch gegen Dänemark ihr ungeheures spielerisches Potential, und Okocha bewies noch einmal, daß er einer der besten Spieler des Turniers ist. Fast jeder Nigerianer ist in der Lage, seinen Gegner auszuspielen, was die „Super Eagles“ von allen anderen Teams bei der WM außer Brasilien unterscheidet. Und mit Ikpeba, dem Rekonvaleszenten Kanu, dem Oldie Yekini und dem gegen Dänemark verletzt fehlenden Amokachi verfügen sie über vier überragende Stürmer.

Von daher hatte Victor Ikpeba recht, als er klagte: „Es ist eine Schande, daß wir aus all unserem Talent nicht mehr gemacht und im Turnier nicht weiter gekommen sind.“ Doch Nigeria ist keinesfalls von dem unglücklichen Schicksal ereilt worden, wie Finidi George offensichtlich meinte: „Ich weiß nicht, was schiefgelaufen ist. Aber diese Dinge passieren eben.“ Beim Scheitern der faszinierendsten Mannschaft des WM-Turniers spielten auch weder die im nigerianischen Lager traditionell hochentwickelte Streitkultur noch der Generationskonflikt zwischen alten Spielern und Olympiasiegern von Atlanta oder die Ego-Zusammenstöße zwischen Amokachi und Ikpeba eine entscheidende Rolle. Selbst wenn Torwart Rufai nach dem Spiel raunte: „Weil wir so große Namen in der Mannschaft haben, sind einige Dinge passiert, die vor der Welt verborgen geblieben sind.“

Vor allem hat Bora Milutinovic das Rennen gegen die Zeit verloren. Man mag über den Perfektionswahn spotten, mit dem sich europäische Nationalmannschaften auf große Turniere vorbereiten, aber acht Wochen sind auch für einen „Philosophen des Fußballs“ (Ikpeba über Milutinovic) zuwenig. Im Spiel gegen Dänemark letztlich entscheidend waren die vorher schon unübersehbaren taktischen Mängel und die Unfähigkeit, sich ein ganzes Spiel lang zu konzentrieren. Um daran zu arbeiten, müßte Nigeria, aber auch fast alle anderen afrikanischen Teams endlich einmal eine professionelle Infrastruktur und Kontinuität auf dem Trainerposten schaffen. Und diesen Trainern müßte die Gelegenheit zu regelmäßigen Trainingslagern und Vorbereitungsspielen gegeben werden, wie das bei den großen Fußballnationen selbstverständlich ist. Das mag sich vielleicht dröge und wenig romantisch anhören. Aber ohne ein Mindestmaß an Vorbereitung und Planung werden Mannschaften wie Nigeria auch in Zukunft nicht über die Rolle der bestaunten Säbelschwinger hinauskommen.

Dänemark: Schmeichel – Colding, Rieper, Høgh, Heintze – Helveg, Nielsen, Møller (59. Sand), Jörgensen – Michael Laudrup (84. Frandsen) – Brian Laudrup (78. Wieghorst)

Zuschauer: 80.000 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Møller (3.), 0:2 Brian Laudrup (12.), 0:3 Sand (60.), 0:4 Helveg (76.), 1:4 Babangida (77.)

Nigeria: Rufai – West, Uche, Babayaro – Finidi George, Oliseh, Adepoju, Okocha, Lawal (73. Babangida) – Ikpeba, Kanu (64. Yekini)