Die Kamera fällt das Urteil

■ Im Visier der Medien verändert sich die Rechtsprechung, behauptet ein Rechtsanwalt

Monika Weimar im Blitzlichtgewitter. Starres Entsetzen nach der Verurteilung und Tränen der Rührung beim Freispruch. Die Medien sind stets dabei – auch wenn morgen vor dem Bundesgerichtshof eine neue Etappe des Endlos-Prozesses beginnt. Diesmal jedoch geht es nur um formelle Rechtsfragen, und die einstige Angeklagte wird sich die Tortur ersparen. Doch inzwischen ist der Markenartikel „Weimar“ so gut eingeführt, daß die Medien auch ohne Hauptdarstellerin mit Großaufgebot präsent sein werden.

Die öffentliche Behandlung von Gerichtsfällen, wie jener um Monika Weimar, wirft die Frage auf, ob Medien nicht längst viel zu großen Einfluß auf die Strafjustiz gewonnen haben. „Große Strafprozesse und die Macht der Medien“, heißt auch ein Buch des Frankfurter Rechtsanwalts Rainer Hamm, der inzwischen Datenschutzbeauftragter in Hessen ist. Hamm stellt sogar die traditionelle Öffentlichkeit von Strafprozessen in Frage. Bislang kann die Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, etwa wenn Vergewaltigungsopfer vernommen und ihnen das öffentliche Ausbreiten ihres Leides erspart werden soll oder wenn angebliche Staatsgeheimnisse im Gericht zur Sprache kommen könnten. Radio- und Fernsehaufnahmen sind in Deutschland zwar – anders als in den USA – verboten. Allerdings darf in den Verhandlungspausen gefilmt werden.

Im Visier der Medien verhielten sich Justiz und Angeklagte anders als in normalen Strafprozessen, sagt Hamm. Beispiel Jürgen Schneider: Als der Baulöwe untergetaucht war, fragten Medienvertreter täglich und mit zunehmender Intensität die Frankfurter Staatsanwaltschaft: „Wo bleibt der Haftbefehl?“ Nach zwei Wochen schließlich gab die Anklagebehörde dem Drängen nach und erließ den gewünschten Arrestbefehl. Juristisch sinnvoll war dies zu diesem Zeitpunkt nicht. Denn noch konnte sich der Haftbefehl nur auf ein einziges konkretes Betrugsdelikt stützen. Wäre Schneider sofort im Ausland verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert worden, hätte er nur wegen dieses einen Delikts angeklagt werden können. Die Ankläger hatten allerdings Glück, Schneider wurde erst ein Jahr später in Florida gestellt – da waren die Ermittlungen deutlich weiter.

Auf der anderen Seite gibt es auch Richter, die sich der Medienberichterstattung betont entgegenstellen. Hamm schildert den Fall eines Offenbacher Exhibitionisten, der im mehrstündigen Polizeiverhör plötzlich fünf bisher unaufgeklärte Frauenmorde gestand. Der Mann widerrief kurz darauf das Geständnis, und der Stern deckte auf, mit welchen psychologischen Tricks die Kripo gearbeitet hatte, um fast alle unaufgeklärten Frauenmorde auf einmal vom Schreibtisch zu bekommen.

Auch andere Medien sprachen vom Polizeiskandal, doch trotz dieser medialen „Vorfreisprüche“ wurde der Mann verurteilt. Für Anwalt Hamm zog sich durch die Urteilsbegründung „wie ein roter Faden das Bedürfnis des Gerichts, Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die Kritik der Medien in Schutz zu nehmen“.

Der Jurist verhehlt nicht, daß ihm die Medien bei seiner Tätigkeit auch schon geholfen haben. Etwa als er einen Flugingenieur zu verteidigen hatte, dem der Absturz eines Jets mit 57 Todesopfern angelastet wurde. Nach Medienberichten meldeten sich Zeugen, mit deren Hilfe der Anwalt zeigen konnte, daß durchaus auch technisches Versagen als Absturzursache in Frage kam. Am Ende gab es tatsächlich einen Freispruch.

Gut ist eine Berichterstattung nach Meinung Hamms, wenn sie sich ganz „in den Dienst der Sache“, also der Wahrheitsfindung, stellt und keine Verkaufserfolge anpeilt. Eine etwas naive Forderung – von Anwälten verlangt schließlich auch niemand, daß sie völlig selbstlos arbeiten.

Die Kritik des Autors geht über die gängige Medienschelte hinaus, indem er die Öffentlichkeit des Strafverfahrens kritisiert. Es reiche, erklärt Hamm, wenn der Angeklagte die Zulassung der Öffentlichkeit beantragen könne. Das Publikum im Strafprozeß habe meist weniger Interesse daran, die Beweiserhebung zu kontrollieren, als seine Sensationsbedürfnisse zu befriedigen. Der moderne Strafprozeß dürfe nicht die Funktion des Prangers übernehmen.

Allerdings: Für viele der von Hamm kritisierten mediale Erscheinungen bliebe der Verzicht auf öffentliche Gerichtsverhandlungen folgenlos. Immerhin ist das Ermittlungsverfahren schon immer nichtöffentlich und dennoch kommen findige Medienvertreter auch hier meist an die Informationen, die sie benötigen. Oft mit Hilfe der Justiz oder der Anwälte. Christian Rath

Rainer Hamm: „Große Strafprozesse und die Macht der Medien“. Nomos Verlag, Baden-Baden 1998, 128 Seiten, 44 DM