Ein Rambo, der gern ein Schöngeist wäre

Jörg Schönbohm (CDU) ist Berlins Senator fürs Grobe. Seit er von türkischen „Ghettos“ redet, hagelt es Tomaten und Verwünschungen. Der Ex-General sucht Trost beim guten Buch – und beim Klavierspiel seiner Frau  ■ Von Severin Weiland

Nein, es sieht nicht gut aus für Jörg Schönbohm. Nun ist er schon zum CDU-Stand in der Wilmersdorfer Straße gekommen. Doch die Menschen hier, tief im Westen Berlins, hasten an ihrem Innensenator vorbei. Es regnet, und es ist kalt. Und als wäre das nicht schon genug der Widrigkeiten an diesem Junitag, stellt sich auch noch ein Spielmannszug vor den Stand. Laut scheppert und bläst es dem wackeren Häuflein Christdemokraten entgegen, nur schreiend können sie sich untereinander verständigen. Irgendwann wird es dem Innensenator zu bunt.

„Na, dann greifen wir uns mal die Bürger“, sagt er und schreitet voran. Irgendwie wirkt der Mann in dem Trenchcoat verloren. „Ich diskutiere viel lieber auf dem Podium, das hier ist nicht so meine Sache“, sagt er. Am Ende dieser einstündigen Plackerei im Regen wird Schönbohm dann doch noch versöhnt. „Lassen Sie sich von den linken Scharfmachern nicht in die rechte Ecke stellen“, sagt ein Mann um die 40. Da entspannen sich die Gesichtszüge des Senators. Als wollte er sagen: Wenn die anderen mich schon nicht verstehen, die Kollegen im Senat, die Presse, verstehen mich wenigstens die Bürger hier.

Was hat er sich nicht in den letzten drei Wochen alles anhören müssen. Schönbohm sei ein Blut- und-Boden-Ideologe, schrieb der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama. Das war, nachdem Berlins oberster Ordnungshüter im Boulevardblatt B.Z. von „Ghettos“ gesprochen hatte, von „Quartieren in der Stadt, die so sind, daß man sagen kann: Dort befindet man sich nicht in Deutschland“.

Eine Diskussion nach Berliner Art

Kein Tag ist seither vergangen, an dem Schönbohm nicht mit neuen Vorschlägen kam, die in der der Vielvölkerstadt Berlin für Zoff sorgten: Wer nicht deutsch lernen wolle, dem solle man die Sozialhilfe kürzen. Islamunterricht sei überflüssig, weil die christliche Kultur in Deutschland prägend bleiben müsse. Die multikulturelle Gesellschaft schließlich erklärte der forsche Senator zum „Kampfbegriff der Linken“.

Seine Gegner haben sich gefreut. Bestätigt sich doch das latente Mißtrauen gegen einen Ex- General, dem man echte Sorge um das Zusammenleben in der schwierigen Metropole ohnehin nie zugetraut hatte. Was kam, war eine Diskussion nach Berliner Art. Schönbohm stellte sich vor laufenden Kameras auf dem türkischen Markt in Kreuzberg. Bei der Talkrunde zwischen Gemüseständen und Käsetheken brüllte man den gebürtigen Brandenburger nieder, beschimpfte ihn als „rechte Sau“, als „Rassisten“, als „Arschficker“. Tomaten flogen, doch Schönbohm hielt stand.

Irgendwie hatte er das ja erwartet. Für die Autonomen ist er ohnehin nur „Meister Propper“, der Wagenburgen und die letzten besetzten Häuser räumen ließ. Solche Attacken steckt Schönbohm weg, er hat sich daran gewöhnt, seit er 1996 aus dem Bonner Verteidigungsministerium in den Berliner Senat wechselte. Aber „erschreckt“, so sagt er, habe er ihn doch, „dieser unglaubliche Haß in manchen jungen Gesichtern“.

Daß ihn aber auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der völkischen Gesinnung bezichtigt und in die Ecke rechter Demagogen rückte, dazu noch im liberalen Tagesspiegel, das trifft ihn hart. Gerade im Berliner Bildungsbürgertum glaubt Schönbohm sein Publikum. Hier will er verstanden werden, der Mann, der gerne in Theater und Opern geht, der Literatur liebt und sich beim Klavierspiel seiner Frau Eveline entspannt. Und der sich mißverstanden fühlt. Hat er nicht als Bundeswehroffizier mehrmals Israel besucht? Ist er nicht ein Mann von Welt, wo doch hinter seinem Schreibtisch Fotos hängen, auf denen er mit Ex-Nato-Chef Manfred Wörner oder Israels ermordetem Premier Rabin zu sehen ist? „Ich verstehe die Aufregung um meine Person nicht“, sagt er, „was ich gesagt habe, konnte man schon in mehreren Artikeln nachlesen.“

Offenbar liest keiner die Zeitschrift für Ausländerrecht, in der Schönböhm Anfang 1997 schrieb, daß es „keinen gleichberechtigten Wettbewerb der Kulturen im Gastland geben kann“, daß die „deutsche Lebenswelt und Kultur Vorrang hat“, daß die „Identität der Bundesrepublik als Nationalstaat der Deutschen nicht zur Disposition“ stehen dürfe. Daß er gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, aber für Einbürgerung und Integration ist, hat er das nicht in der Berliner Morgenpost im April 1997 wiederholt?

Und nun regen sich alle auf nach seinem B.Z.-Interview. Er scheint zu ahnen, warum: „Manchmal muß man Dinge griffiger formulieren, um etwas zu bewegen“, meint er. Daß er damit den rechten Rand bedienen könnte, hält er für eines jener „typischen Argumente, mit denen man einer Sachdiskussion in dieser Stadt ausweichen will“.

Was stört einen wie Schönbohm, der im bürgerlichen Kleinmachnow vor den Toren Berlins wohnt, an Bezirken wie Kreuzberg oder Neukölln? Die Sorgen des Innensenators gelten den deutschen Bürgern. Da ist das Ehepaar, das seit 35 Jahren in Kreuzberg wohnt. Und dessen Hausflur „verdreckt und vollgekritzelt ist, weil sich die Bewohner, von denen über die Hälfte keine Deutschen sind, nicht mehr an die Hausordnung halten“. Da ist die deutsche Rentnerin aus dem Wedding, die ihm schrieb, sie fühle sich „wie eine Fremde“. Ja, sagt er, „die Sorgen solcher Menschen muß ich ernst nehmen“.

Wer Schönbohm zuhört, kann manchen seiner Analysen zustimmen. Daß, wer hier leben wolle, die rechtliche Gleichheit von Frau und Mann anerkennen müsse. Daß der Deutschunterricht für die ausländischen Kinder zu verbessern ist. Aber was für ihn die deutsche Kultur sein soll, der sich die Ausländer anpassen sollen, wird auch nach einem längeren Gespräch nicht klar. Die deutsche Hausordnung allein kann es nicht sein.

Die türkischen Interessensorganisationen haben sich bei ihm beschwert und sind dann zufrieden nach Hause gegangen. Kein Wunder. Der Mann, der so viel Zorn auf sich zieht, ist ein angenehmer Gesprächspartner. Einer, der den britischen Historiker Timothy Garton Ash „einen fabelhaften Mann“ nennt – ganz beiläufig, als wollte er all diejenigen Lügen strafen, die meinen: Ein General liest keine Bücher.

Ashs neuestes Buch trägt er auch gern mal mit ins Berliner Abgeordnetenhaus, wo man kürzlich eine aktuelle Schönbohm-Stunde einberief. Die grüne Fraktionschefin Renate Künast nannte ihn bei dieser Gelegenheit einen „Mann für den rechten Rand“, die PDS sprach von einem „verbalen Amoklauf“. Doch der Innensenator sitzt auf der Regierungsbank, als ginge ihn das Ganze nicht an. Blättert in Papieren. Und ist zufrieden. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen stellt sich schützend vor seinen Innensenator. Der mache seine Arbeit „ordentlich“. Mehr nicht. Immerhin gilt Schönbohm, der erst Ende 1994 in die CDU eintrat, als Diepgens innerparteilicher Gegenspieler. Und stützt sich dabei auf eine bunte Sympathisantenschar: die Preußenanhänger, die Law-and- Order-Verfechter – und diejenigen, die ganz einfach von Diepgens 14jähriger Dauerherrschaft frustriert sind.

Geschickter Taktiker oder Provokateur?

Die Konservativen in der Union mögen ihn, weil er General war. Auf deutsche Generäle hat Berlin lange verzichten müssen. Und sie mögen ihn, weil er das nationale Pathos, wenn es sein muß, beherrscht. Als er 1991 auf die Auflösung der Nationalen Volksarmee zurückblickte, sagte er: „Wir kamen nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen.“ Das kommt an in der einst geteilten Stadt. Die innere Einheit, sagt Schönbohm heute, „fasziniert mich und belastet mich zugleich. Viele Vorurteile werden leider noch lange bestehenbleiben.“

Dabei beteuert er immer wieder, zu Gesprächen bereit zu sein. Einem PDS-Anhänger auf einer CDU-Veranstaltung in Köpenick sagt er: „Laden Sie mich doch ein. Dann können wir feststellen, wie groß unsere Differenzen sind.“ Schönbohm findet Gefallen daran, seine Gegner zu irritieren. Die Bündnisgrünen, die sich bei seiner Vereidigung im Berliner Parlament im Januar 1996 noch Stahlhelme aufsetzten, hatten einen zackigen Ex-Offizier erwartet. Sie erlebten bald einen Mann, der im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger in den Ausschüssen zuhört und freundlich antwortet.

Daß seine Gegner das Bild des ewigen Generals auf jedem zweiten Plakat wiederaufleben lassen, nimmt er mit Kopfschütteln zur Kenntnis. „Natürlich bin ich 35 Jahre bei der Bundeswehr gewesen, eine Prägung auszuschließen, wäre absurd. Aber wer mich von früher kennt, wird wissen, daß ich mehr auf Überzeugung als auf Befehl und Gehorsam setze.“

Jörg Schönbohm, das ist der Mann, der mit Widersprüchen jongliert. Kurz nach seinem Amtsantritt besuchte er eine Homosexuellenorganisation, weil er sich einfach mal informieren wollte. Nur um wenig später die Berliner Bezirke zu beschimpfen, weil sie am Christopher Street Day die Regenbogenfahne, das Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung, auf ihren Rathäusern hißten. Schönbohm war es auch, der die letzten besetzten Häuser räumen ließ, der nach Krawallen über ein präventives Demonstrationsverbot räsonierte und der sich vor wenigen Wochen mit drei Autonomen zum Spiegel-Gespräch traf.

Ist dieser Senator ein geschickter Taktiker, ein Clausewitz der Berliner Landespolitik oder einfach nur ein ungehobelter Provokateur? „Wenn sich der Schlachtenlärm wieder gelegt hat, sollte man ohne Schaum vor dem Mund diskutieren“, sagt er kokett. Jörg Schönbohm weiß, daß er sein Ziel längst erreicht hat. Die Stadt redet über ihn, und selbst manche großen Blätter im Land haben die Thesen des Ex-Generals diskutiert. Der erste Etappensieg ist errungen.