Orchester auf dem Minenfeld

■ Der Vertrag mit dem Generalmusikdirektor Günter Neuhold ist noch immer nicht verlängert, und das Orchester stimmt geheim gegen ihn / Nutzt die Kulturbehörde die Situation, um die Orchesterprivatisierung voranzutreiben?

Am Freitag dieser Woche soll die Pressekonferenz für die neue Saison des Philharmonischen Staatsorchesters stattfinden: Ein exklusives Programm mit fünf Konzerten unter der Leitung des Generalmusikdirektors Günter Neuhold wird da vorgestellt. Aber das schon lange bekannt gewordene Brodeln um die Stimmung zwischen Neuhold und dem Theaterintendanten Klaus Pierwoß einerseits und dem Orchester und Neuhold andererseits scheint richtig aufzukochen. Denn das Orchester hat der Behörde das Ergebnis einer geheimen Abstimmung zukommen lassen, das jetzt über den „Weser-Kurier“lanciert wurde. Demnach ist die Mehrheit des Orchesters gegen eine Verlängerung des Vertrages mit Neuhold über die Saison 1998/99 hinaus.

„Abstimmung und Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt sind nichts weniger als eine Katastrophe“, sagt Barbara Grobien vom Vorstand der Philharmonischen Gesellschaft, die sich die Hacken nach Sponsoren abläuft. Ihrer Einschätzung ist zuzustimmen: Wenn die Behörde dem Votum des Orchesters folgt, kann man von Neuhold in der kommenden und seiner dann letzten Spielzeit kaum noch nachhaltigen Einsatz verlangen. Und: Anschließend „eine neue GMD-lose Zeit können wir uns nicht mehr leisten“, warnt Grobien.

Das Zerwürfnis, das wegen stimmender künstlerischer Ergebnisse wohl vor allem zwischenmenschliche Gründe hat, stieß ursprünglich bei der Kulturbehörde nicht auf Interesse: „Das ist in der ganzen Welt so, daß Orchester und Chef sich nicht verstehen“, sagte Senatsdirektor Rainer Köttgen vor einigen Wochen auf taz-Anfrage. Doch das sieht jetzt offenbar anders aus: „Wir nehmen das natürlich sehr ernst und werden mit beiden Parteien sprechen.“ Während Köttgen noch Hoffnung zu haben scheint, ist Generalintendant Klaus Pierwoß inzwischen pessimistisch: „Das ist seit langer Zeit ein hoch vermintes Gelände und damit eine alarmierende Situation. Ich bin nicht an guter Stimmung interessiert, aber Produktivität muß ein gewisses Klima haben.“

Pierwoß verhält sich in der Auseinandersetzung abwartend. Seine Position macht er dennoch deutlich: „Ich werde von meinen direktorialen Rechten nichts abgeben.“ Schon länger wirft Neuhold dem Intendanten vor, bei der Auswahl von Regisseuren kein Mitspracherecht zu haben. Doch Pierwoß kontert: „Er hat sich in den Vorbereitungen kein einziges Mal eine Inszenierung eines von mir vorgeschlagenen Regisseurs angesehen.“

In dieser Angelegenheit steht Aussage gegen Aussage, und die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen. Auch im Ochester ergaben Umfragen ein unterschiedliches Bild mit dem Tenor: „Natürlich ist die Stimmung schlecht, aber wir können arbeiten.“

Und noch eine Frage spielt in diesem Konflikt eine Rolle: Sollte die Kulturbehörde die Stimmung nutzen, um die von ihr geplante Privatisierung des Orchesters in eine GmbH voranzutreiben? Möglich ist das. „Wir werfen dem Chef unter anderem vor, daß er in der schwersten politischen Phase, die wir durchzustehen haben, schweigt“, sagte Orchestervorstand Florian Baumann vor kurzem.

Es ist eine verfahrene Situation mit unbekanntem Ausgang. Daß allerdings auf einem „hochverminten Gelände“ eine solche Qualitätssteigerung, wie sie das Orchester nach dem Engagement von Neuhold erreicht hat, möglich war und ist, sollte zu denken geben. Und es sollte allen Beteiligten noch einmal in Erinnerung gerufen werden, daß das, was jetzt zu sterben droht, wahrscheinlich auf Jahre nicht wieder aufzubauen ist.

Günter Neuhold selbst wollte sich zum Konflikt nicht äußern.

Ute Schalz-Laurenze