■ Vorlesungskritik
: Sehnsucht nach Terror

Die Theaterwissenschaftler der Humboldt-Universität lieferten Frank Castorf eine schöne Vorlage. In einem jener albernen Assoziationsspiele, die in Funk und Fernsehen zum Glück schon wieder aus der Mode gekommen sind, warfen sie ihm genau jene Wortfetzen zum Fraß vor, in die der Intendant der Volksbühne in Berlin so gerne hineinbeißt. Mit dem Wort „Demokratie“ zum Beispiel kann er „nur sehr schwer etwas anfangen“, auch der Begriff „Political Correctness“ ist ihm „sehr fremd“. Angesichts mancher Mißstände sehne er sich „nach Terror“.

Vor dreieinhalb Jahren schien Castorf sein Spiel mit der Provokation überreizt zu haben. Als er der Jungen Welt seine heimliche Liebe für „faschistoide Gedankengänge“ beichtete und „ein neues Stahlgewitter“ herbeisehnte, verlangten Kritiker seinen Rücktritt. Inzwischen hat der Ruf eines ewigen Enfant terrible den 46jährigen sogar ins Wiener Burgtheater geführt. „Um es den Wienern mal richtig zu zeigen“, habe ihm Claus Peymann den „einmaligen Staatstheaterapparat“ zur Verfügung gestellt – und das, obwohl sich das früher „freundliche“ Verhältnis der beiden Regisseure mittlerweile „zur Klarheit hin getrübt“ habe.

Daß sich die Wiener „so echauffieren können“, das hat Castorf aber auch beeindruckt. Trotzdem lebt er lieber in Berlin, wo er von seiner Wohnung „nur zehn Minuten Fußweg zum Theater“ zurücklegen muß. Doch die ostdeutsche Tradition, die Castorf in seinem Haus am Rosa-Luxemburg- Platz hochhalten will – sie „dünnt aus“. Gerhard Gundermann ist seit kurzem tot, Heiner Müller schon seit längerem. Immerhin, mit Gregor Gysi ist Castorf noch befreundet. „Stereotyp“ wählt er die PDS, „solange sie nicht an die Macht kommt“.

Doch in der Mehrzahl muß Castorf die „typischen Ostler“ jetzt aus dem Westen holen – seine Star-Schauspielerin Sophie Rois beispielsweise. Mit seinem Schweizer Hausregisseur Christoph Marthaler ist Castorf „sehr, sehr befreundet“, trotz dessen „sehr, sehr demokratischer“ Gesinnung. Manchmal packt ihn aber auch der Neid, wenn er „als Preuße unmusikalisch dasitzt“, während sich Marthaler im „Weintrinken, Essen, Musizieren“ übt.

Gar nicht neidisch ist Castorf auf die Studenten des Instituts für Theaterwissenschaft. Zu DDR-Zeiten hatte er zu den wenigen gehört, die hier studieren durften. Heute sieht er es als „einen Punkt von Traurigkeit“, daß hier so viele Leute studieren, „die bestimmt nicht gebraucht werden“. Seiner Tochter hat er geraten, „alles zu studieren, bloß nicht Theaterwissenschaft“.

Das klingt dann doch ein bißchen bieder. Castorf, der unentwegt die Staatstheater beschimpft, ist eben auch nur ein schnöder Staatstheaterintendant. Gefragt, was er denn mit dem Begriff „Radikalität“ verbinde, zögert er einen Moment. Dann sagt er: „Ein Täuschungsmanöver.“ Ralph Bollmann