Die Eltern sind gegen Arabisch

Die Umstellung des öffentlichen Schriftverkehrs und des Schulunterrichts auf Hocharabisch, droht Algeriens gesellschaftliche Krise weiter zu verschärfen  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Für die algerischen Eltern ist die Sache klar: 71 Prozent wollen laut einer Umfrage des algerischen Schulamts, daß ihre Kinder ab dem dritten Schuljahr Französisch als Fremdsprache lernen. Die Eltern sind damit die Hauptgegner der „Generalisierung der arabischen Sprache“, wie sie am Sonntag per Gesetz vorgenommen werden soll. Dann muß jeder offizielle Schriftverkehr, egal ob in der öffentlichen Verwaltung oder in Unternehmen, „auf arabisch redigiert werden.“ Auch die meist auf französisch gehaltenen Kurse in Oberstufen und Hochschulen soll bis zum Jahr 2000 auf Arabisch umgestellt werden.

„Eine Sprachpolitik im Einklang mit den Idealen der Unabhängigkeit“, nennt das die Regierung. Die Eltern kümmern sich allerdings nur wenig um diese „politisch-ideologische Debatte“. Für sie soll das Französische auch weiterhin „privilegierte Fremdsprache“ sein. Sie sehen darin einen wichtigen Garant für das Fortkommen ihrer Sprößlinge in Schule und Beruf. Denn die intellektuellen Aktivitäten in Algerien finden zum großen Teil in Französisch statt.

Die Eltern sehen mehrheitlich keine Diskriminierung darin, daß vor allem naturwissenschaftliche und technische Studiengänge an den Unis nur in Französisch gelehrt werden. Drei Viertel der Befragten geben an, selbst gut bis sehr gut französisch zu sprechen, und sie ziehen auch heute, 36 Jahre nach der Unabhängigkeit, die Zeitungen in der Sprache Voltaires denen auf arabisch vor.

Das algerische Schulsystem ist an das der ehemaligen Kolonialmacht angelehnt. Die Grundschule (Enseignement fondamental) beinhaltet drei Zyklen und endet mit 15 Jahren. In der Oberstufe erwirbt man das Abitur (baccalauréat) – und damit den Zugang für ein Hochschulstudium. Die Schulbildung ist zwar für alle frei zugänglich. Dennoch nehmen 20 Prozent der Kinder im schulfähigen Alter überhaupt nicht am Unterricht teil. Von 6,4 Millionen Grundschülern brechen pro Jahr eine halbe Million vorzeitig ab. Die Zahl der Kinder ohne Abschluß beläuft sich mittlerweile auf 75 Prozent. Das Abitur besteht nur jeder vierte.

Die Arabisierung wird an dieser Situation nichts ändern. Als „eine Katastrophe“ bewertet dies der Vorsitzende der algerischen Wirtschafts- und Handelskammer (CACI), Ali Habour. „Wir müssen in kürzester Zeit die gesamte Logistik der Unternehmen auf Arabisch umstellen, ohne das dafür nötige Personal zu haben“, gibt er im Gespräch mit der Tageszeitung El Watan zu bedenken. Die Sprachumstellung komme einer Selbstisolierung Algeriens gleich.

Viele bezweifeln, daß die Industrie das nötige qualifizierte Personal bekommen wird – selbst wenn sich die Arabisierung durchsetzen sollte. Die Erfahrung aus den achtziger Jahren, als ein Teil der Universitätsausbildung auf Arabisch umgestellt wurde, sind alles andere als ermutigend. Die Schüler lernten nicht etwa das in Algerien und in den Nachbarländern übliche Maghreb-Arabisch, sondern Hocharabisch. Mit der Muttersprache der Algerier hat diese ins 7. Jahrhundert zurückgehende Sprache nur 80 Prozent des Wortschatzes gemein. So verfügt oft nicht einmal derjenige über genügend Kenntnisse, sich in korrektem Hocharabisch auszudrücken, der eine vollständige arabische Schul- und Berufsausbildung durchlaufen hat. In den technischen und akademischen Berufen ist ohnehin Französisch die Verkehrssprache. Der Weg der Arabisierung könnte also direkt in die Arbeitslosigkeit führen, denn auch diesmal soll wieder Hocharabisch in die Lehrpläne.

Eine Gruppe von algerischen Professoren an Frankreichs Universitäten sieht in der Sprachpolitik „puren Jakobinismus, der darauf abzielt, den kulturellen und sprachlichen Reichtum zu zerstören, die der Nährboden der Zivilisation in der Region ist“. Die Professoren sehen das Nebeneinander der Sprachen gefährdet – 25 Prozent der algerischen Bevölkerung spricht überhaupt kein Maghreb- Arabisch, sondern Tamazight. Vor allem aber beklagen sie einen ungeheuren kulturellen Verlust. Die Arabisierung ließe die Bücher des Algerien-Franzosen Albert Camus und des spanischstämmigen Manuel Robles zum Fremdkörper werden. Auch zeitgenössische Exilschriftsteller wie Assia Djebar oder die Vorzeigeautoren des einstigen Einparteiensystems, Malek Haddad und Rachid Mimmouni, würden an den Rand gedrängt – sie veröffentlichen auf französisch.

Arabische Lehrinhalte gelten selbstverständlich nur für die Kinder aus einfachem Elternhaus. Die algerische Nomenklatura wird ihre Sprößlinge auch weiterhin nach Tunis schicken, wo sie das französische Abitur ablegen, um an ausländischen Unis zu studieren.