Krieg herrscht vor allem in den Köpfen

Äthiopiens Regierung schürt kräftig Kampfbegeisterung gegen Eritrea und wird von manchen Oppositionsgruppen im nationalistischen Eifer noch übertroffen. Aber das reale Leben ist davon wenig berührt  ■ Aus Addis Abeba Peter Böhm

Ein alter Mann läßt wild entschlossen ein traditionelles Krummschwert über dem Kopf kreisen. Andere haben ihre Speere mitgebracht. Die mehreren tausend Zuschauer, die sich vor den Fernsehkameras auf den terrassenartigen Tribünen in einem kleinen Ort in der nordäthiopischen Provinz Tigre versammelt haben, sind hellauf begeistert und stimmen zum Ausklang der Versammlung lauthals in ein Kriegslied ein.

Wenn man dieser Tage den abendlichen Nachrichten des äthiopischen Staatsfernsehens ETV folgt, müßte man glauben, daß das ganze Land in heller Kriegsbegeisterung ist. Nach einem Bericht der unabhängigen Tageszeitung The Monitor machten sich sogar Hunderte von Armeeveteranen auf den Weg nach Adigrat nahe der Grenze, um gegen die „eritreischen Aggressoren“ zu kämpfen. Enttäuscht mußten allerdings die Rollstuhlfahrer und diejenigen ohne Beine und/oder Arme wieder abziehen, weil die Armee sie nicht wollte.

Aber wenn man in Äthiopiens Hauptstadt diese Opferbereitschaft überprüfen, zu einer Rekrutierungsstelle gehen, in eines der Ausbildungslager fahren oder mit einem Armeeverantwortlichen sprechen möchte, bekommt man den Unwillen der Regierungssprecherin zu spüren, die dafür den Kontakt herstellen und die Genehmigung erteilen müßte. In Addis Abeba ist überhaupt nichts von Massenbegeisterung zu spüren. Außer nächtlichen Patrouillen sind auch im Straßenbild keine Auswirkungen des Krieges zu sehen.

Die Freiwilligen, die sich tatsächlich zur Armee melden, werden bei den Gemeindeverwaltungen registriert, den sogenannten Kebele, die aus den Basiszellen des früheren kommunistischen Regimes übernommen sind. Kebele Nummer 17 liegt ein paar hundert Meter unter dem alten Palast Kaiser Meneliks, in dem heute der Staatspräsident residiert. Die mit Wellblech überdachte Halle hat einen Boden aus gestampftem Lehm, macht den Eindruck eines umgebauten Stalls und riecht auch so. Einige Jugendliche lungern herum, manche spielen Tischtennis. Drum herum sind einige äußerst frugal eingerichtete Dienstzimmer gruppiert. Antaneh Brane von der Jugendorganisation der Regierungspartei berichtet, daß sie hier für 10 Straßen mit rund 8.000 Einwohnern zuständig seien.

Kriegsdienst? Es gibt Wichtigeres zu tun

„Wir haben eine Versammlung zum Krieg einberufen und uns den Fragen der Leute gestellt“, sagt Antaneh Brane. 33 Freiwillige hätten sich daraufhin hier gemeldet, die den Aufnahmekriterien genügt hätten: Alter zwischen 18 und 25 Jahre, Gewicht über 60 Kilo, Größe über 1,60 Meter. Auf die Frage, warum sich von den hier versammelten Jugendlichen niemand gemeldet hätte, sagt Antaneh, sie hätten „wichtige Arbeiten“ zu erledigen.

Neben dem Bau von Straßen, Häusern und Latrinen, die Antaneh als Hauptaufgaben der Kebeles nennt, hat die aus der Mengistu- Zeit übernommene Graswurzelverwaltung auch die Funktion, das Viertel zu überwachen. Hier muß vom Führerschein über die Baugenehmigung bis zur Anmeldung eines Besuchers alles beantragt und angegeben werden, und es empfiehlt sich, sich mit diesen Institutionen gut zu stellen, da in so einem Viertel jeder jeden kennt.

„Vor der Versammlung bei uns sind sie mit Lautsprecherwagen herumgefahren“, berichtet Salomon Tedesse, der ein kleines Hotel führt, „so daß es natürlich schwierig ist zu sagen, man habe von nichts gewußt.“ Er ist nicht hingegangen, aber man merkt ihm an, daß dazu doch ein gewisses Maß an Zivilcourage gehört hat. In einer Oromo-Stadt im Südwesten Äthiopiens, 200 Kilometer von der Grenze zum Sudan entfernt, berichtet ein Missionar sogar von Zwangsrekrutierungen.

Addis Abeba ist eine Stadt der Kontraste. Unter neuen Leuchtreklamen lassen die Hirten ihre Schafherden auf den spärlichen Grünstreifen grasen, Eselskolonnen werden durch die Stadt getrieben. Nach dem 30jährigen Bürgerkrieg, der 1991 mit dem Sturz der Mengistu-Diktatur endete, fing das Land fast von Null an. Vor allem an den großen Ausfallstraßen künden nun große Firmenschilder von neuen Betriebsgründungen, und dennoch sind die sieben Prozent Wirtschaftswachstum, die die Weltbank für die vergangenen Finanzjahre angibt, mit Vorsicht zu genießen. Denn die in den westlichen Medien oft so hochgelobte Reformfreudigkeit der äthiopischen Regierung ist eine Legende.

Vor allem das Festhalten an der Verstaatlichung des Bodens, die Landerwerb ausschließt, hat sich als schwerwiegendes Hindernis für Investitionen aus den Industrieländern erwiesen, die deshalb nicht erwähnenswert sind. „Diese Politik erklärt sich aus der Geschichte der TPLF, die als kommunistische Bauernbewegung angefangen hat“, meint ein Wirtschaftswissenschaftler. Sie diene auch dazu, die Interessen der Regierung durchzusetzen. In der Amhara-Region, deren Bevölkerungsgruppe am stärksten in Opposition zur Regierung steht, wurden Bauern und deren Kinder als Bürokraten und Mitglieder einer staatlichen Organisation während der Mengistu-Zeit eingestuft und bei der Landvergabe stark benachteiligt.

Demokratie? „Fassade für die Diplomaten“

Einen beträchlichen Anteil im Wirtschaftsleben des Landes machen außerdem die Betriebe der Regierungsparteien aus, zum Beispiel im Baugewerbe, im Im- und Exporthandel oder im Versicherungswesen. Diese Konglomerate führen zwar ihre Gewinne an die jeweiligen regionalen Verwaltungen ab, die damit Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte bestreiten, aber selbstredend haben sie auch den Nebeneffekt, die Regierungsparteien zu finanzieren und so deren politisches Monopol zu festigen. Denn als die Rebellengruppe Tigray-Volksbefreiungsfront (TPLF) unter Meles Zenawi 1991 die Macht ergriff, gründete sie für die verschiedenen anderen Bevölkerungsgruppen wie Amharen und Oromos eigene ethnische Parteien, die mit der TPLF zur jetzt regierenden Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker (EPRDF) zusammengelegt wurden und so gut wie keine Unterstützung in der Bevölkerung genießen. Sie sind nun die einzigen, die über Ressourcen und Infrastruktur vefügen und Büros in den Regionen betreiben können, während der Aktionsradius der Oppositionsparteien auf Addis Abeba beschränkt ist. Andere Blätter als die Regierungszeitungen können außerhalb der Hauptstadt auch nicht verkauft werden.

Diese Schieflage wird offen auch von solchen Politikern eingestanden, die davon profitieren. „Unsere Partei hat die Regierung nur aus dem kaltblütigen Kalkül registriert, daß eine weitere Oromo-Gruppierung die OLF schwächen wird“, gibt Marera Gudena, Chef des kleinen Oromo National Congress, zu. Seine Partei sei ohne Gewicht und selbst in Addis Abeba, wo jede Anmeldung einer Veranstaltung von der Willkür der Behörden abhänge, zur Untätigkeit verdammt. „Die Regierung“, meint er, „hat Demokratie ohnehin immer nur als Fassade für die Diplomaten in Addis Abeba vorgespielt.“

Eritreas Regierung setzt nun darauf, Äthiopiens Regierung von innen zu schwächen. Sie hat der Oppositionsbewegung Oromo Liberation Front (OLF) ein Büro in Asmara angeboten. Die Oromos sind die größte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens und wurden während der langen politisch-kulturellen Dominanz der Amharen in der Kaiserzeit wie auch in der Mengistu-Militärdiktatur als Menschen zweiter Klasse behandelt. Die OLF kämpfte gemeinsam mit den Rebellenbewegungen aus Tigray und Eritrea gegen Mengistu und war nach dem Sturz Mengistus 1991 für ein Jahr in der Übergangsregierung. Dann ging sie in die Opposition, weil sie Meles Zenawi vorwarf, die Oromos weiter zu marginalisieren. Jetzt fordert die OLF dazu auf, sich nicht am Krieg gegen Eritrea zu beteiligen, weil er nur dazu diene, von der Ausbeutung der Oromos abzulenken.

Eritrea? Das ist doch „so ein kleines Land“

Doch das Kalkül der eritreischen Führung, daß die Feindschaft der Opposition in Äthiopien gegen die Regierung größer sei als gegen sie selbst, ist nicht aufgegangen. Vielmehr fordern die meisten Gruppierungen, wie zum Beispiel die radikale Amharenorgansiation AAPO, die sich von Anfang gegen die Unabhängigkeit Eritreas ausgesprochen hatte, ein noch entschiedeneres Vorgehen der äthiopischen Regierung. Das gilt auch für viele Bewohner Addis Abebas. Stellvertretend für die Meinung vieler sagt die Journalistin Emrekep Haile-Selassie: „Am Anfang habe ich gedacht, das ist doch nur ein Krieg zwischen den Tigreern. Aber inzwischen kann ich nicht glauben, daß Eritrea es wagt, Äthiopien herauszufordern. Ich hoffe, daß die Regierung etwas unternimmt – und zwar bald.“

Wichtig, weil nicht in die stark ethnisch geprägte Parteienlandschaft einzuordnen, ist die Haltung des Rates der Alternativen Kräfte, der die Interessen kleiner Bevölkerungsgruppen aus der Südregion vertritt. Parteichef Beyene Petros, einst Vizeerziehungsminister in Meles Zenawis Übergangsregierung, gab sein Amt zurück, als er nach eigenen Worten merkte, „daß die TPLF Demokratie nur nach außen hin vorspielte, um die westlichen Geberländer zu beeindrucken“. Auf Eritrea angesprochen, findet er es aber „zutiefst beleidigend“, daß „so ein kleines Land im Norden“ Äthiopien herausfordern konnte. „Wir haben Zenawi immer gewarnt, daß es früher oder später zu Spannungen kommen muß, wenn er das Verhältnis zu Eritrea nicht nach internationalen Standards regelt“, sagt Petros, der wie fast alle der Oppositionschefs Universitätsprofessor ist. „Meine Einschätzung ist, daß die Nationalisten in der TPLF Druck auf Zenawi ausgeübt haben und ihm klargeworden ist, daß sein Ansehen in der Bevölkerung leidet, wenn er Eritrea weiter Privilegien beläßt.“