■ Bill Clinton setzt Zeichen gegen den „Kampf der Kulturen“
: Die Macht der Bilder

Wir schreiben das Jahr 2010. China hat seine Machtposition in Asien ausgebaut und beansprucht die Erdölreserven im Südchinesischen Meer für sich. Es kommt zu bewaffneten Konflikten mit Vietnam, das ebenfalls Öl in diesem Teil des Meeres fördert. Die chinesische Volksarmee marschiert in Vietnam ein. Das ruft die USA auf den Plan. Der Krieg beginnt. Innerhalb weniger Tage greifen die mit China verbündeten Iraner und andere, antiwestliche arabische Regimes ein. Es kommt zum großen Aufmarsch gegen Israel. Westeuropa kann nicht mehr neutral bleiben. Ein neuer Weltkrieg ist da.

Dieses Szenario stammt von Samuel P. Huntington, dem Erfinder der Theorie vom „Kampf der Kulturen“. Der Harvard-Professor gehört zu den außenpolitischen Vordenkern der Weltmacht USA, die sich bemühen, die politischen Gesetze der Welt nach dem Kalten Krieg zu beschreiben und in eine schlüssige Theorie zu übersetzen. Huntington hat dafür die griffigste Formulierung kreiert: Der Gang der Weltordnung im Zeitalter nach dem globalen Antagonismus von Kommunismus und Kapitalismus werde bestimmt vom „Kampf der Kulturen“.

Der Begriff ist zu einer Chiffre im Kampf um die Köpfe, im Kampf um die Deutung für den Ausbruch regionaler und überregionaler Kriege geworden. Der Punkt, auf den Huntington hinarbeitet: Alle Kriege seit dem Ende des Kalten Krieges beweisen, daß es keine gedeihliche Zusammenarbeit unterschiedlicher Kulturen geben kann. Weder in der Außenpolitik noch nach erfolgter Einwanderung von einem in den anderen Kulturkreis.

Transportiert wird diese Botschaft im Medienzeitalter über Bilder. Bilder von Grausamkeiten einer ethnischen Gruppe gegen eine andere, Bilder von der Zerstörung von Kirchen durch Muslime, brennenden Moscheen in Indien und fanatisierten Hizbollah an der libanesisch-israelischen Grenze. Ganz unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Theorie entwickeln diese Bilder ein Eigenleben, wenn es gelingt, die Phantasie in eine bestimmte Richtung zu lenken, sie politisch zu bündeln. Das ist die tatsächliche Gefahr, die von der Idee des Kampfs der Kulturen ausgeht.

Diese Theorie, das hat US-Präsident Bill Clinton während seines Chinabesuches in den letzten Tagen überzeugend demonstriert, wird am wirksamsten mit ihren eigenen Mitteln bekämpft. Der Auftritt Clintons vor den Studenten der Pekinger Universität, die Diskussion mit kritischen Chinesen werden zu einem Sinnbild des erfolgreichen Dialogs zwischen dem bevölkerungsreichsten Land der Erde und der westlichen Vormacht USA werden. Im Kampf um die Definitionsmacht könnten diese Bilder der Kooperation gegen die Idee des Kulturkampfes bestehen.

Außenpolitik ist geprägt von Interessen, ökonomischen Interessen zuallererst. Wie Interessen definiert werden, ist aber nicht zuletzt eine Frage der Vorstellung. Für den Friedensprozeß im Nahen Osten waren die Bilder vom Besuch Sadats in Israel unendlich wichtig. Clintons Chinabesuch geht in dieselbe Richtung. Im Herbst wird Irans neuer Präsident Chatami vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen sprechen. Auch die begonnene Annäherung zwischen den USA und dem Iran braucht einen medialen Ausdruck. Das stärkste Hindernis für eine Aussöhnung sind in den USA immer noch die Bilder von der besetzten US-Botschaft in Teheran 1979. Ob sie zum Beispiel von den Bildern des freundschaftlichen Fußballspiels zwischen dem Iran und den USA während der WM in Frankreich überlagert werden können, bleibt noch abzuwarten.

Es ist relativ einfach, Huntington akademisch zu widerlegen. Viel schwieriger ist es, die medial gestützte, scheinbare Evidenz des Kampfs der Kulturen zu durchbrechen. Clintons Chinabesuch war ein mutiger Schritt auf diesem Weg. Ob es zum Kampf der Kulturen kommt, ob das wüste Szenario Huntingtons irgendwann Realität wird oder nicht, hängt nicht nur von Wirtschaftsinteressen, Waffenhandel und Militärpolitik ab, sondern ganz wesentlich davon, was die Menschen glauben. Und die meisten glauben, was sie sehen: Bilder vom Dialog zwischen Regierungen und Gesellschaften unterschiedlicher Hautfarbe und Religion bringen mehr Dialog und Kooperation, Bilder vom Kampf der Kulturen bringen neuen Kulturkampf. Jürgen Gottschlich