Im Jemen drohen somalische Verhältnisse

■ Die peripheren Stämme begehren gegen den Wirtschaftskurs der Regierung auf. Bei Kämpfen zwischen Stammeskriegern und der Armee starben mindestens 52 Menschen

Berlin (taz) – Die Stämme des Jemen genießen in Europa den Ruf, westliche Touristen freundlich zu bewirten, die sie zuvor mit leichtem Zwang zu ihren Gästen gemacht haben. Mit einigen Tagen Verzögerung haben sich einige dieser Stämme nun mit Waffengewalt und Sabotageakten einer Protestwelle gegen Preiserhöhungen in Jemen angeschlossen.

Vor elf Tagen hatten die Einwohner der Hauptstadt Sanaa gegen die Erhöhung von Benzin- und Lebensmittelpreisen demonstriert. Im Laufe der letzten Woche griffen die von der Spritverteuerung besonders betroffenen Bewohner der nördlichen Regionen um Marib und al-Jauf zu den Waffen und versuchten, Straßen zu blockieren und Ölpipelines zu beschädigen. Bei den nachfolgenden Kämpfen mit der Armee und Polizei seien mindestens 52 Menschen getötet und über 200 verletzt worden.

Der seit zwanzig Jahren amtierende Präsident Jemens, Ali Abdallah Saleh, warnte vor einer „Somalisierung“ des Landes, das heißt vor dem Zerfall des erst seit 1990 wiedervereinigten Jemen in gegeneinander und gegen die Städter kämpfende Stämme und Parteien. Gleichzeitig verdächtigte er Saudi- Arabien und die jemenitische islamistische Islah-Partei, die Empörung der Bevölkerung über die Wirtschaftspolitik der Regierung von Premier Abd-al-Karim al-Iryani anzufachen. Das Land unterwirft sich den Restrukturierungsplänen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und hat deshalb Subventionen gestrichen, was zu Preiserhöhungen von bis zu 40 Prozent bei Grundnahrungsmitteln und Treibstoff geführt hat. Im Jemen beträgt das tägliche Pro- Kopf-Einkommen einen Dollar, die Arbeitslosenrate liegt bei 38 Prozent.

Sowohl das benachbarte Königreich als auch die Islamisten haben in der Vergangenheit mehrfach versucht, den Mangel an Loyalität der peripheren Stämme des Jemen gegenüber der Zentralregierung zu eigenen Zwecken auszunutzen. So hat der nördliche Stamm Jid'an aus Protest nicht nur jemenitische Soldaten angegriffen, sondern auch die saudische Flagge gehißt. Wegen Grenzstreitigkeiten war es zwischen dem wirtschaftlich schwachen Jemen und dem Ölkönigreich 1995 beinahe zu einem Krieg gekommen. Seit Montag hält sich eine ranghohe jemenitische Regierungsdelegation in der saudischen Hauptstadt Riad auf, um bei den Verhandlungen um den seit 1930 umstrittenen Grenzverlauf Fortschritte zu erzielen. Die Kämpfe zwischen Stammeskriegern im Norden und Regierungskräften dauerten eine Woche und wurden am Montag unterbrochen, um Verhandlungen zwischen den Führern der Stämme und der Regierung zu ermöglichen. Die Stämme kritisieren immer wieder die Vernachlässigung ihrer Gebiete durch die Zentralmacht und fordern eine größere Beteiligung an den Öleinkünften Jemens und die Verbesserung der ländlichen Infrastruktur. Die Zentralmacht argumentiert dagegen, wegen der internen Streitigkeiten seien die Stammesgebiete nur schwer zu entwickeln.

Aber auch in den größeren Städten des Landes herrscht nach den Demonstrationen nur eine gespannte Ruhe. In der südlichen Stadt al-Houta sind nach Augenzeugenberichten bei einem Protestmarsch am Montag 21 Menschen verhaftet worden. Oppositionelle Parteien planten für gestern trotz eines Regierungsverbots eine Demonstration in der Hadramaut-Provinz. Volker Michael