Nur noch einen gelben Tretroller wert

Polnischer Sozialrat und Aktion Sühnezeichen wiederholen die Ehrung des millionsten Gastarbeiters. Willkommen in der Schattenwirtschaft, firmieren „der Pole“ und seine promovierte Putzfrau nur noch als Illegale  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Das Empfangskomitee am Gleis 21 war in gediegenes Schwarz gewandet. Blumensträuße wurden gezückt, Begrüßungsansprachen entfaltet. Es galt einen historischen Moment zu feiern: Einfahrt des Morgenzugs aus dem polnischen Szczecin gestern früh am Bahnhof Berlin-Lichtenberg. Dem Abteil entsteigen – stellvertretend für tausend andere – zwei Menschen, die sonst tunlichst unerkannt in der Schattenwirtschaft der Hauptstadt verschwinden: Roch Czartoryski, der polnische Bauarbeiter an und für sich, allzeit mobil und zu jedem Lohn arbeitsbereit, und seine Landsfrau, genannt Maria Brzeczyszczykiewicz, die bescheidene Putzfrau mit Universitätsdiplom, das Mädchen für alles gegen den Dreck von Mann, Kind und Hund. Beifall, Hochrufe auf Gleis 21! Berlin feiert die Ankunft des x-millionsten Arbeitnehmers aus Polen.

„Sie sind“, hebt der Herr im Zweireiher an, „die wahren Helden der neuen Zeit.“ Besitzen sie doch nahezu alle Tugenden, die unser Bundespräsident eingefordert hat: „Risikobereitschaft, Innovationsgeist, kein Anspruchsdenken und Mobilität“. Applaus, Blumen, Blitzlichtgewitter. Nur eine Blaskapelle fehlt, die Nationalhymne intonierend. Ansonsten wäre die Inszenierung ein perfektes Revival eines längst vergessenen Spektakels auf dem Kölner Hauptbahnhof gewesen: Vor genau 34 Jahren wurde dort, unter Lobeshymnen der versammelten Arbeitgeberprominenz, der millionste Gastarbeiter im Wirtschaftswunderland Deutschland empfangen.

Die Szenen gleichen sich, die Zeiten haben sich geändert. 1964 in Köln hielt der Chef des Arbeitgeberverbandes die Willkommensrede, und Armando San Rodrigues aus Portugal bekam als Dank für Anreise und Arbeitsbereitschaft ein nagelneues Moped geschenkt. Die „Gastarbeiter“ von heute werden von keinem Offiziellen begrüßt. Sie können nur heimlich nach Deutschland kommen. Als „Illegale“ werden sie in die Ecke von Kriminellen gerückt. Stellvertretend für deren Arbeitgeber, die am liebsten inkognito bleiben, standen deshalb gestern der Polnische Sozialrat und die Aktion Sühnezeichen auf dem Bahnhof. Mit der satirischen Ehrung des polnischen Bauarbeiters und der promovierten Putzfrau wollten sie die kriminalisierten Arbeiter der Schattenwirtschaft ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Für seine Verdienste am Aufbau der neuen alten Hauptstadt Berlin bekam deshalb „Bauarbeiter Czartoryski“ einen kanariengelben Tretroller verliehen – für ein Moped hatte die Finanzkraft der Initiatoren denn doch nicht gereicht. „Putzfrau Maria“ nahm als Willkommensgruß einen Aldi-Präsentkorb entgegen, mit Kamillencreme gegen spröde Hände.

Die oscarreife Begrüßungszeremonie war nicht zuletzt ein Kontrastprogramm zu einem Schauspiel, das die Beschäftigten der Bauwirtschaft eine Woche zuvor in Berlin geboten hatten. Mit 600 Baufahrzeugen waren sie gegen Billigarbeiter aus dem Ausland und für den Vorrang einheimischer Arbeitskräfte auf die Straße gezogen. Gestern hingegen wurden die polnischen „Helden der Arbeit“, deren Zahl allein in Berlin auf einige zehntausend geschätzt wird, in den höchsten Tönen gepriesen: Ohne sich zu beschweren oder gar überhöhte Forderungen zu stellen, lobte das Empfangskomitee, trügen sie sogar dazu bei, „den Umzug der deutschen Hauptstadt preiswert zu gestalten und den Bundeshaushalt zu entlasten“. Schließlich wurden Männer wie der Maurer Czartoryski auf den Baustellen des Deutschen Reichstags und des Justizministeriums gesichtet. „Auch die Trennung von Haus und Familie ertragen sie klaglos, nahezu jede Entfernung legen sie zu ihrem Arbeitsplatz zurück“ – wie Putzfrau Maria –, „um unsere emanzipierten Frauen und unsere hart arbeitenden Familienväter zu entlasten.“ Und sie sorgen dafür, „die Kosten für Büro-, Schul- und Rathausreinigungen zu senken“.